Ein Hauch von Schnee und Asche
offenbar, denn er sah zu dem Zimmer auf, das sich Lizzie und ihr Vater teilten. Durch die Decke war keine Bewegung zu hören, obwohl ich vor einiger Zeit gesehen hatte, wie Joseph nach oben ging.
»Er schläft?«, fragte Jamie mit hochgezogenen Augenbrauen. Er blickte unwillkürlich zum Fenster. Es war Nachmittag, und der Garten war in fröhliches, weiches Licht getaucht.
»Ein gängiges Symptom für eine Depression«, sagte ich mit einem kleinen Achselzucken. Für Mr. Wemyss war die Auflösung der Verlobung seiner Tochter ein harter Schlag gewesen – viel härter als für seine Tochter. Er hatte immer schon zerbrechlich ausgesehen, doch jetzt hatte er merklich an Gewicht verloren und sich ganz in sich zurückgezogen. Er sprach nur noch, wenn man ihn anredete, und war morgens immer schwerer aus dem Schlaf zu wecken.
Jamie kämpfte kurz mit der Vorstellung, dass so etwas wie eine Depression existierte, dann tat er sie kopfschüttelnd ab. Er klopfte nachdenklich mit den steifen Fingern seiner rechten Hand auf den Tisch.
»Was meinst du, Sassenach?«
»Bobby ist ein sympathischer junger Mann«, sagte ich skeptisch. »Und Lizzie hat ihn offensichtlich gern.«
»Und wenn die Wemyss’ noch Leibeigene wären, hätte Bobbys Antrag durchaus seinen Reiz«, stimmte mir Jamie zu. »Aber sie sind es nicht.« Er hatte Joseph Wemyss seinen Vertrag schon vor Jahren zurückgegeben, und Brianna hatte Lizzie hastig aus der Leibeigenschaft befreit, kaum dass sie begonnen hatte. Dies war allerdings nicht öffentlich bekannt, da Josephs vermeintlicher Status als Leibeigener ihn davor schützte, in der Miliz dienen zu müssen. Auch Lizzie profitierte als Leibeigene von Jamies offiziellem Schutz, da sie als sein Eigentum galt; niemand hätte es gewagt, sie zu behelligen oder sie respektlos zu behandeln.
»Vielleicht wäre er ja bereit, sie gegen Bezahlung in seinen Dienst zu stellen«, schlug ich vor. »Der Lohn für sie beide würde doch wahrscheinlich einiges weniger betragen als der Preis für zwei Leibeigenschaftsverträge.« Wir bezahlten Joseph zwar, aber sein Lohn betrug nur drei Pfund im Jahr, allerdings zuzüglich Kost, Logis und Kleidung.
»Das werde ich vorschlagen«, entschied Jamie, allerdings voller Skepsis. »Aber ich werde mit Joseph sprechen müssen.« Er sah noch einmal zur Decke und schüttelte den Kopf.
»Apropos Malva…«, sagte ich mit einem Blick zur anderen Seite des Flurs und senkte meine Stimme. Sie war im Sprechzimmer und seihte die Flüssigkeit aus den Schalen mit den Schimmelkulturen ab, die unsere Penizillinvorräte lieferten. Ich hatte Mrs. Sylvie versprochen, ihr noch mehr zu schicken und eine Spritze; ich hoffte, dass sie davon Gebrauch machen würde.
»Meinst du, Tom Christie hätte ein offenes Ohr, wenn Joseph es nicht hat? Ich glaube, die Mädchen sind Bobby beide zugeneigt.«
Bei diesem Gedanken stieß Jamie ein etwas verächtliches Geräusch aus.
»Tom Christie soll seine Tochter an einen Mörder verheiraten, noch dazu einen mittellosen? John Grey kennt den Mann nicht im Geringsten, sonst würde er so etwas nicht vorschlagen. Christie ist so stolz wie Nebukadnezar, wenn nicht noch mehr.«
»Oh, so stolz also, ja?«, sagte ich unwillkürlich belustigt. »Was meinst du denn, wer ihm passend erschiene, hier in der Wildnis?«
Jamie zuckte mit einer Schulter.
»Ich befinde mich nicht in der ehrenvollen Lage, dass er mir das anvertraut hätte«, sagte er trocken. »Aber er hält seine Tochter von den Jungen hier fern; ich nehme an, sie finden in seinen Augen allesamt keine Gnade. Es würde mich nicht im Geringsten überraschen, wenn er einen Weg fände, sie nach Edenton oder New Bern zu schicken, um sie zu verkuppeln, wenn es ihm nur irgend möglich ist. Roger Mac sagt, er hat so etwas erwähnt.«
»Wirklich? Er versteht sich im Moment bestens mit Roger, nicht wahr?«
Bei diesen Worten huschte ein zögerliches Lächeln über sein Gesicht.
»Aye, nun ja. Roger Mac liegt das Wohlergehen seiner Schäfchen am Herzen – und dabei vergisst er das eigene absolut nicht.«
»Was in aller Welt meinst du denn damit?«
Er betrachtete mich einen Moment und beurteilte dabei anscheinend meine Fähigkeit, ein Geheimnis für mich zu behalten.
»Mmpfm. Nun, bitte sag nichts davon zu Brianna, aber Roger Mac hat vor, Tom Christie und Amy McCallum zu verkuppeln.«
Ich blinzelte, doch dann dachte ich darüber nach. Eigentlich war das gar keine schlechte Idee, auf die ich selbst nie gekommen wäre.
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