Ein Hauch von Schnee und Asche
sich aufgerappelt hatte, sich eine Hand vor die empfindliche Körpermitte presste und auf den Stall zuhielt, wahrscheinlich, um wie befohlen seinen Zwillingsbruder zu holen.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Lizzie und betrachtete sie genau. Wenn Mr. Wemyss Recht hatte und sie schwanger war , war sie offensichtlich eine jener glücklichen Personen, die weder unter morgendlichem Erbrechen noch unter den üblichen Verdauungssymptomen der Frühschwangerschaft litt; sie sah sogar ausgesprochen gesund aus.
Das allein hätte mich eigentlich schon alarmieren sollen, so blass und schwächlich, wie sie normalerweise war. Jetzt, da ich sorgfältig hinsah, schien sie eine sanfte Röte auszustrahlen, und ihr blassblondes Haar, das an einigen Stellen unter der Haube hervorlugte, glänzte.
»Wie weit bist du?«, fragte ich, während ich einen Ast für sie beiseite hielt. Sie warf mir einen raschen Blick zu, schluckte sichtlich, dann duckte sie sich unter dem Ast hindurch.
»Ungefähr vier Monate, glaube ich«, antwortete sie zaghaft, ohne mich anzusehen. »Ähm … Pa hat es Euch gesagt, nicht wahr?«
»Ja. Dein armer Vater«, sagte ich streng. »Stimmt es, was er sagt? Beide Beardsleys?«
Sie zog ein wenig den Kopf ein, nickte aber beinahe unmerklich.
»Was – was wird Ehrwürden mit ihnen machen?«, fragte sie mit leiser, bebender Stimme.
»Ich weiß es wirklich nicht.« Ich bezweifelte, dass Jamie schon irgendwelche
konkreten Vorstellungen hatte – obwohl er etwas davon gesagt hatte , Lizzie den Übeltäter, der an ihrer Schwangerschaft Schuld war, tot zu Füßen zu legen, falls ihr Vater dies wünschte.
Jetzt, da ich darüber nachdachte, war die Alternative – sie bis zum Morgen unter die Haube zu bringen – wahrscheinlich um einiges problematischer, als es sein würde, die Zwillinge schlicht abzumurksen.
»Ich weiß es nicht«, wiederholte ich. Wir waren am Hühnerstall angelangt, einer stabilen Konstruktion, die geschützt unter der ausladenden Krone eines Ahorns stand. Mehrere der Hennen, die einen Hauch weniger dumm waren als ihre Schwestern, schliefen wie übergroße reife Früchte auf den niedrigeren Ästen, die Köpfe in den Federn vergraben.
Ich zog die Tür auf, wodurch ich eine kräftige Ammoniakwolke aus dem dunklen Stallinneren entließ, hielt den Atem an, zog die Hühner aus dem Baum und warf sie ohne Umschweife hinein. Lizzie rannte in den Wald, zog Hühner unter den Büschen hervor und hastete zurück, um sie in den Stall zu schubsen. Große Tropfen begannen jetzt, aus den Wolken zu stürzen. Sie waren so schwer wie Kiesel und landeten laut klatschend über uns im Laub.
»Schnell!« Ich warf hinter dem letzten der gackernden Hühner die Tür zu, schob den Riegel vor und packte Lizzie am Arm. Von einem Windstoß getragen, rannten wir auf das Haus zu, und unsere Röcke wirbelten wie Taubenflügel um uns auf.
Die Sommerküche war uns am nächsten; wir platzten just in dem Moment durch die Tür, als der Regen mit Getöse über uns kam, eine feste Wasserwand, die mit dem Geräusch fallender Ambosse auf das Dach traf.
Wir standen keuchend im Inneren des Küchenhäuschens. Lizzie hatte beim Rennen ihre Haube verloren, und ihr Zopf hatte sich gelöst, so dass ihr das Haar in glänzenden, cremeblonden Strähnen über die Schulter hing; ein deutlicher Unterschied zu dem stumpfen, zotteligen Aussehen, das sie normalerweise mit ihrem Vater teilte. Hätte ich sie ohne ihre Haube gesehen, hätte ich sofort Bescheid gewusst. Ich ließ mir Zeit, wieder zu Atem zu kommen, während ich mir überlegte, was in aller Welt ich zu ihr sagen sollte.
Sie machte sich unter großem Theater wieder zurecht, zupfte keuchend an ihrem Leibchen und strich ihre Röcke glatt – und versuchte dabei unablässig, meinem Blick auszuweichen.
Nun, es gab eine Frage, die seit Mr. Wemyss’ schockierender Enthüllung an mir genagt hatte; besser, wenn ich sie sofort aus dem Weg räumte. Das anfängliche Dröhnen des Regens hatte sich zu regelmäßigem Getrommel abgeschwächt; es war laut, aber zumindest war es möglich, sich zu unterhalten.
»Lizzie.« Sie sah etwas erschrocken von ihrem Röcke-Rücken auf. »Sag mir die Wahrheit«, forderte ich. Ich legte ihr die Hände um beide Wangen und blickte ihr ernst in die blassblauen Augen. »Bist du vergewaltigt worden?«
Sie blinzelte, und der Ausdruck völliger Verblüffung, der ihre Gesichtszüge überlief, war beredter, als es jede verbale Verneinung hätte sein
Weitere Kostenlose Bücher