Ein Hauch von Schnee und Asche
sie, und ihre Wangen wurden tiefrot. Sie blickte zu Boden und spielte mit einer Haarsträhne herum. »Ich war – nun ja, ich war durch das Fieber von Sinnen, Ma’am, wirklich. Aber ich wusste, dass ich dringend meine Medizin brauche.«
Ich nickte und begann zu verstehen. Ich machte ihr keine Vorwürfe; ich hatte ja schon miterlebt, wie sie von der Malaria überwältigt wurde. Und was das anging, so hatte sie das Richtige getan; sie brauchte die Medizin und hätte sie niemals selbst auftragen können.
Panisch hatten die beiden Jungen getan, was sie sagte, ihr umständlich die Kleider ausgezogen und jeden Zentimeter ihres nackten Körpers gründlich mit der Salbe eingerieben.
»Ich habe immer wieder das Bewusstsein verloren«, erklärte sie, »und die Fieberträume sind aus meinem Kopf geradewegs ins Zimmer spaziert, deswegen erinnere ich mich nur verworren. Aber ich glaube, einer der Jungen hat gesagt, der andere hätte überall Salbe kleben und würde sich noch das Hemd ruinieren, also sollte er es besser ausziehen.«
»Ich verstehe«, sagte ich und konnte es mir lebhaft vorstellen. »Und dann …«
Und dann konnte sie sich nur noch daran erinnern, dass, wann immer sie an die Oberfläche des Fiebers gedriftet war, die Jungen immer noch da waren und mit ihr und miteinander geredet hatten, ihre Stimmen ein kleiner Anker, der sie in der Wirklichkeit hielt, und ihre streichelnden Hände wichen nie von ihr, und der scharfe Geruch der Gallbeeren schnitt durch den Holzrauch des Kamins und den Duft der Bienenwachskerze.
»Ich habe mich … sicher gefühlt«, sagte sie und rang um die richtigen Worte. »Ich kann mich nicht konkret erinnern, nur dass ich einmal die Augen geöffnet und seine Brust direkt vor meinem Gesicht gesehen habe und die dunklen Löckchen um seine Brustwarzen, und sie waren klein und braun und gerunzelt wie Rosinen.« Sie wandte mir das Gesicht zu und bekam große Augen bei dieser Erinnerung. »Das kann ich noch so deutlich sehen, als hätte ich es in diesem Moment vor mir. Das ist merkwürdig, oder?«
»Ja«, pflichtete ich ihr bei, obwohl es eigentlich nicht stimmte; hohes Fieber hatte etwas an sich, das die Wirklichkeit verschwimmen ließ, gleichzeitig aber bestimmte Bilder so tief in den Verstand einbrennen konnte, dass sie nie wieder verblassten. »Und dann…?«
Dann hatte sie so heftigen Schüttelfrost bekommen, dass weder mehr Decken noch ein heißer Ziegelstein zu ihren Füßen geholfen hatte. Und so war einer der Jungen in seiner Verzweiflung neben ihr unter die Decke gekrochen und hatte sie an sich gedrückt, um die Kälte mit seiner eigenen Körperwärme zu vertreiben – die, so dachte ich zynisch, an diesem Punkt beträchtlich gewesen sein musste.
»Ich wusste nicht, welcher es war oder ob es die ganze Zeit derselbe war oder ob sie sich hin und wieder abgewechselt haben, aber jedes Mal, wenn ich aufgewacht bin, war er da und hatte die Arme um mich gelegt. Und manchmal hat er die Decke zurückgeschlagen und mir noch mehr Salbe auf den Rücken gerieben und, und, vorn …«, holperte sie und wurde rot. »Aber als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, war das Fieber fort, wie üblich am zweiten Tag.«
Sie sah mich an und flehte um Verständnis.
»Wisst Ihr, wie es ist, Ma’am, wenn man hohes Fieber hatte, und es ist vorbei? Es ist jedes Mal gleich, also ist es ja vielleicht bei allen Menschen so. Aber es ist… friedlich. Man fühlt sich so schwer, dass man gar nicht daran denken kann, sich zu bewegen, aber das macht nichts. Und alles, was man sieht – all die kleinen Dinge, von denen man im Alltag keine Notiz nimmt -, jetzt sieht man sie, und sie sind schön«, sagte sie andächtig. »Manchmal glaube ich, vielleicht wird es so sein, wenn ich tot bin. Ich wache einfach auf, und alles wird so sein, friedvoll und schön – nur, dass ich mich bewegen kann.«
»Aber diesmal bist du aufgewacht und konntest es nicht«, sagte ich. »Und der Junge – welcher es auch immer war – er war noch bei dir?«
»Es war Jo«, sagte sie und nickte. »Er hat mit mir geredet, aber ich habe kaum darauf geachtet, was er gesagt hat, und ich glaube auch nicht, dass er es getan hat.«
Sie biss sich kurz auf die Unterlippe; ihre kleinen Zähne scharf und weiß.
»Ich – ich hatte es noch nie getan, Ma’am. Aber ich war ein- oder zweimal dicht davor, mit Manfred. Und noch dichter mit Bobby Higgins. Aber Jo hatte ja noch nicht einmal ein Mädchen geküsst, und sein Bruder ebenso nicht. Seht Ihr,
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