Ein Hauch von Schnee und Asche
jetzt wieder – vorsichtig, aber respektvoll.
»Ich glaube nicht, dass während des Winters irgendetwas Wichtiges geschieht«, sagte er nachdenklich und rieb sich die von der Kälte gerötete Nase.
»Wahrscheinlich nicht.« Massachusetts, wo der Großteil des Aufruhrs stattgefunden hatte, war jetzt durch einen gewissen General Gage besetzt, und das Letzte, was wir gehört hatten, war, dass er den Boston Neck befestigt hatte, jene schmale Landzunge, die die Stadt mit dem Festland verbindet – was bedeutete, dass Boston nun vom Rest der Kolonie abgeschnitten war und sich im Belagerungszustand befand.
Bei diesem Gedanken verspürte ich einen leisen Stich; ich hatte fast zwanzig Jahre in Boston gelebt und liebte diese Stadt – wenn ich auch wusste, dass ich sie jetzt nicht wiedererkennen würde.
»John Hancock – ein Kaufmann – führt dort das Komitee für die Sicherheit an, sagt Ashe. Sie sind entschlossen, zwölftausend Milizionäre zu rekrutieren, und wollen fünf tausend Musketen kaufen! Viel Glück, kann ich nur sagen, wenn ich nur daran denke, welche Schwierigkeiten ich hatte, dreißig aufzutreiben.«
Ich lachte, doch bevor ich antworten konnte, erstarrte Jamie.
»Was ist das?« Sein Kopf wandte sich abrupt, und er legte mir die Hand auf den Arm. So plötzlich zum Schweigen gebracht, hielt ich den Atem an
und lauschte. Der Wind ließ das trockene Laub der wilden Weinranken hinter mir rascheln wie Papier, und in der Ferne zog ein Krähenschwarm vorbei, der sich unter schrillem Gekrächze zankte.
Dann hörte ich es auch; ein leises, trostloses und ausgesprochen menschliches Geräusch. Jamie war schon auf den Beinen und lief vorsichtig zwischen den umgestürzten Felsbrocken hindurch. Er duckte sich unter dem Türsturz, der aus einer an die Wand gelehnten Granitplatte bestand, und ich folgte ihm. Er blieb abrupt stehen, so dass ich fast mit ihm zusammengeprallt wäre.
»Joseph?«, sagte er ungläubig.
Ich spähte an ihm vorbei, so gut ich konnte. Zu meinem nicht minder großen Erstaunen war es Mr. Wemyss, der vornüber gebeugt auf einem Felsen saß, einen Steingutkrug zwischen den knochigen Knien. Er hatte geweint; seine Nase und seine Augen waren rot, was ihm noch mehr als sonst das Aussehen einer weißen Maus verlieh. Außerdem war er extrem betrunken.
»Oh«, sagte er und blinzelte uns bestürzt an. »Oh.«
»Geht es… Euch nicht gut, Joseph?« Jamie trat näher und streckte vorsichtig die Hand aus, als hätte er Angst, dass Mr. Wemyss bei der kleinsten Berührung in Stücke springen könnte.
Sein Instinkt trog ihn nicht; als er den schmächtigen Mann berührte, zerfiel sein Gesicht wie zerknittertes Papier, und seine schmalen Schultern begannen hemmungslos zu zittern.
»Es tut mir so Leid, Sir«, sagte er unaufhörlich, völlig in Tränen aufgelöst. »Es tut mir so Leid!«
Jamie warf mir einen flehenden »Tu etwas, Sassenach«-Blick zu, und ich kniete mich rasch hin, legte Mr. Wemyss die Arme um die Schultern und tätschelte seinen Rücken.
»Aber, aber«, sagte ich und warf Jamie meinerseits einen »Und jetzt?«-Blick über Mr. Wemyss’ Schulter hinweg zu. »Es wird sicher wieder gut.«
»Oh, nein«, sagte er hicksend. »Oh, nein, das ist unmöglich.« Er wandte Jamie sein von Schmerz überflutetes Gesicht zu. »Ich kann es nicht ertragen, Sir, ich kann es einfach nicht.«
Mr. Wemyss’ Knochen fühlten sich dünn und spröde an, und er zitterte. Er trug nur ein dünnes Hemd und eine Kniehose, und der Wind begann, unheimlich zwischen den Felsen hindurch zu heulen. Über uns verdichteten sich die Wolken, und das Licht verschwand so plötzlich aus der kleinen Mulde, als hätte jemand einen schwarzen Vorhang darüber geworfen.
Jamie löste seinen Umhang und legte ihn Mr. Wemyss umständlich um, dann ließ er sich vorsichtig auf einen anderen Felsen sinken.
»Erzählt mir, wo Euch der Schuh drückt, Joseph«, sagte er sanft. »Ist etwa jemand gestorben?«
Mr. Wemyss senkte das Gesicht in seine Hände und schüttelte den Kopf hin und her wie ein Metronom. Er murmelte etwas vor sich hin, das für mich wie »besser, wenn sie es wäre« klang.
»Lizzie?«, fragte ich und wechselte einen verwunderten Blick mit Jamie. »Ist es Lizzie, die Ihr meint?« Beim Frühstück war es ihr noch bestens gegangen; was in aller Welt…
»Zuerst Manfred McGillivray«, sagte Mr. Wemyss und hob das Gesicht aus seinen Händen, »und dann Higgins. Als ob ein Sittenstrolch und ein Mörder nicht schlimm genug
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