Ein Hauch von Schnee und Asche
Stapel Lappen und eine Schüssel mit Wasser zu besorgen, so dass ich der Frau das verschwitzte Gesicht abwischen konnte. Sadie Ferguson steckte vorsichtig ihre bebrillte Nase aus der Zelle, zog sich aber hastig zurück, als das Heulen von neuem ansetzte.
Es war eine Steißlage, was die Schwierigkeiten erklärte, und die nächste Viertelstunde war haarsträubend für alle Beteiligten. Schließlich jedoch zog ich ein kleines Baby auf die Welt. Es kam mit den Füßen zuerst, voller Schleim, reglos, und seine Haut war in einem gespenstischen Blau gefärbt.
»Oh«, sagte Mrs. Tolliver und klang enttäuscht. »Es ist tot.«
»Gut«, sagte die Mutter mit heiserer, tiefer Stimme und schloss die Augen.
»Das werden wir ja sehen«, sagte ich und drehte das Kind hastig mit dem Gesicht nach unten, um ihm auf den Rücken zu klopfen. Nichts bewegte sich, und ich hielt das verklebte Wachsgesicht dicht vor mich hin, bedeckte Nase und Mund mit meinem Mund und saugte fest. Dann drehte ich den Kopf zur Seite und spuckte Schleim und Flüssigkeit aus. Mit verschmiertem Gesicht und Silbergeschmack im Mund blies ich ihm sacht in die Nase, hielt inne, hielt es schlaff und glitschig wie einen frischen Fisch in der Hand, blies – und sah, wie sich seine Augen öffneten, noch tiefblauer als seine Haut und vage neugierig.
Es holte erschrocken Luft, und ich lachte, von plötzlicher Freude durchströmt. Die albtraumhafte Erinnerung an ein anderes Kind, einen Lebensfunken, der in meiner Hand flackernd erlosch, verblasste. Der Funke in diesem
Kind war entzündet und brannte wie eine Kerze mit sanfter, klarer Flamme.
»Oh!«, sagte Mrs. Tolliver noch einmal. Sie beugte sich vor, um einen Blick auf das Kind zu werfen, und ein enormes Lächeln breitete sich über ihr Gesicht. »Oh, oh!«
Das Baby fing an zu weinen. Ich durchtrennte die Nabelschnur, wickelte es in die Lappen und reichte es mit einiger Zurückhaltung Mrs. Tolliver, in der Hoffnung, dass sie es nicht ins Feuer fallen lassen würde. Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Mutter, die so gierig aus der Schüssel trank, dass das Wasser die Vorderseite ihres ohnehin nassen Hemdes noch weiter durchtränkte.
Sie legte sich zurück und ließ sich von mir versorgen, sagte aber nichts und richtete nur dann und wann die Augen mit brütendem, feindseligem Blick auf das Kind.
Ich hörte Schritte durch das Haus kommen, und der Sheriff erschien mit überraschtem Gesicht.
»Oh, Tolly!« Überglücklich wandte sich Mrs. Tolliver, die mit Körperflüssigkeiten beschmiert war und nach Gin roch, zu ihm um und hielt ihm das Kind hin. »Sieh nur, Tolly, es lebt!«
Der Sheriff sah völlig verblüfft aus und runzelte die Stirn, als er den Blick auf seine Frau richtete, doch dann schien er trotz der Alkoholwolke die Witterung ihres Glücks aufzunehmen. Er beugte sich vor, um das kleine Bündel sanft zu berühren, und sein strenges Gesicht entspannte sich.
»Das ist ja schön, Maisie«, sagte er. »Hallo, Kleiner.« Dann fiel sein Blick auf mich. Ich kniete gerade vor dem Küchenfeuer und versuchte mein Möglichstes, um mit einem Lappen und dem Rest des Wassers den Boden zu wischen.
»Mrs. Fraser hat das Kind zur Welt geholt«, erklärte Mrs. Tolliver begeistert. »Es hat falsch herum gelegen, aber sie hat es so geschickt geholt und es zum Atmen gebracht – wir haben gedacht, es ist tot, weil es sich nicht geregt hat, aber das stimmte nicht! Ist das nicht wundervoll, Tolly?«
»Wundervoll«, erwiderte der Sheriff ein wenig dumpf. Er fixierte mich scharf, dann richtete er denselben Blick auf die frischgebackene Mutter, die ihn mit finsterer Gleichgültigkeit erwiderte. Dann wies er mich mit einer Geste an aufzustehen, winkte mich mit einer knappen Verbeugung in die Zelle zurück und schloss die Tür.
Erst jetzt fiel mir ein, was ich seiner Meinung nach getan hatte. Kein Wunder, dass es ihn ein wenig nervös machte, mich mit einem Neugeborenen zu sehen. Ich war nass und schmutzig, und die Zelle kam mir noch heißer und stickiger vor. Dennoch kribbelte das Wunder der Geburt noch durch meine Synapsen, und ich lächelte immer noch, als ich mich auf das Bett setzte, einen nassen Lappen in der Hand.
Sadie betrachtete mich mit Respekt, unter den sich schwacher Ekel mischte.
»Das war die größte Sauerei, die ich je gesehen habe«, sagte sie. »Gütiger Himmel, ist es immer so?«
»Mehr oder weniger. Habt Ihr noch nie eine Geburt gesehen? Habt Ihr selber keins?«, fragte ich neugierig. Sie
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