Ein Hauch von Schnee und Asche
darin, so dass sie aussahen wie die Augen eines japanischen Filmmonsters.
Dieser Gedanke ging ihr planlos durch den Kopf, dann verschwand er, und sie blieb betäubt und leer zurück. Sie war sich nicht sicher, was sie jetzt tun sollte. Vom Strand kamen keine Geräusche mehr; der Lärm von Bonnets Flucht war längst verklungen.
Es fiel immer noch Regen, doch das letzte Sonnenlicht schien durch den Wald, und die langen, fast horizontalen Strahlen füllten die Zwischenräume der Schatten mit einem seltsamen, unsteten Licht, das vor ihren Augen zu flackern schien, als sei die Welt um sie herum im Begriff zu verschwinden.
Mitten darin sah sie wie im Traum die Frauen auftauchen, die Fulani-Zwillinge. Sie wandten ihr die identischen Rehkitzgesichter mit den riesigen, schwarzen, angsterfüllten Augen zu und rannten in den Wald. Brianna rief ihnen nach, doch sie verschwanden. Von unaussprechlicher Müdigkeit erfüllt, stapfte sie ihnen hinterher.
Sie fand sie nicht. Es gab auch keine Spur von sonst jemandem. Das Licht begann zu schwinden, und sie wandte sich humpelnd zum Haus zurück. Ihr tat alles weh, und in ihr regte sich die Vorstellung, dass es niemanden mehr auf der Welt gab außer ihr. Nichts als das sinkende Licht, das mit jedem Moment mehr zu Dunkelheit wurde.
Dann fiel ihr das Baby in ihrem Bauch ein, und sie fühlte sich besser. Egal, was geschah, sie war nicht allein. Dennoch machte sie einen weiten Bogen um die Stelle, von der sie glaubte, dass dort Emmanuels Leiche lag. Sie hatte im Kreis zurück zum Haus gehen wollen, lief aber zu weit. Als sie ihren Fehler bemerkte und sich umwandte, sah sie sie plötzlich am anderen Bachufer zusammen im Schutz der Bäume stehen.
Die Wildpferde, so gelassen wie die Bäume ringsum, mit nassen, glänzenden Flanken in Braun und Rot und Schwarz. Sie hoben die Köpfe, weil sie sie witterten, liefen aber nicht fort, sondern standen nur da und betrachteten sie mit großen, sanften Augen.
Als sie das Haus wieder erreichte, hatte es aufgehört zu regnen. Ian saß auf der Eingangstreppe und drückte sich das Wasser aus den langen Haaren.
»Du hast Schlamm im Gesicht, Ian«, sagte sie und ließ sich neben ihm niedersinken.
»Ach ja?«, sagte er mit einem angedeuteten Lächeln. »Wie geht es denn, Cousinchen?«
»Oh. Ich … ich glaube, mir fehlt nichts. Was -?« Sie zeigte auf sein Hemd, das mit verwässertem Blut befleckt war. Er schien einen Hieb ins Gesicht bekommen zu haben; neben den Schlammflecken war seine Nase aufgequollen; er hatte eine Schwellung über der Augenbraue, und seine Kleider waren nicht nur nass, sondern auch zerrissen.
Er holte tief, tief Luft und seufzte, als wäre er genau so müde wie sie.
»Die kleine Schwarze habe ich wieder«, sagte er. »Phaedre.«
Das durchdrang die traumähnliche Fugenmusik in ihrem Kopf, wenn auch nur schwach.
»Phaedre«, sagte sie, und es fühlte sich an wie der Name eines Menschen, mit dem sie vor langer Zeit einmal bekannt gewesen war. »Geht es ihr gut? Wo -«
»Da drinnen.« Ian wies kopfnickend hinter sich zum Haus, und ihr kam zu Bewusstsein, dass das, was sie für Meeresrauschen gehalten hatte, in Wirklichkeit Weinen war, die kleinen Schluchzer eines Menschen, der schon bis zur Erschöpfung geweint hat, aber nicht aufhören kann.
»Nein, lass sie lieber allein, Cousinchen.« Ians Hand auf ihrem Arm hielt sie davon ab aufzustehen. »Du kannst ihr nicht helfen.«
»Aber -«
Er unterbrach sie und griff in sein Hemd. Er nahm sich einen mitgenommenen Rosenkranz vom Hals und reichte ihn ihr.
»Vielleicht möchte sie ihn haben – später. Ich habe ihn im Sand aufgelesen, nachdem das Schiff… abgefahren war.«
Zum ersten Mal seit ihrer Flucht war die Übelkeit wieder da; ein Schwindelgefühl, das sie in die Finsternis zu ziehen drohte.
»Josh«, flüsterte sie. Ian nickte schweigend, obwohl es keine Frage gewesen war.
»Tut mir Leid, Cousinchen«, sagte er ganz leise.
Es war schon fast dunkel, als Roger am Waldrand auftauchte. Sie hatte sich keine Sorgen gemacht, aber nur, weil ihr Schock zu tief saß, als dass sie auch nur einen Gedanken für das übrig gehabt hätte, was um sie herum geschah. Doch bei seinem Anblick war sie sofort auf den Beinen und flog auf ihn zu. All die Ängste, die sie unterdrückt hatte, brachen endlich in Tränen heraus, die ihr wie der Regen über das Gesicht liefen.
»Pa«, sagte sie erstickt und schluchzte in sein nasses Hemd. »Er ist – ist er -«
»Ihm fehlt nichts.
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