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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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grabschte mit einem schadenfrohen »HA!« nach ihrem Arm.
    Sie schwankte vor Schreck, und die Ränder ihres Gesichtsfeldes färbten sich grau. Sie konnte immer noch schreckliche Schreie am Strand hören, doch vor dem Haus rief niemand mehr. Emmanuel sagte etwas, voll drohender Genugtuung, doch sie hörte ihm nicht zu.
    Irgendetwas schien mit seinem Gesicht nicht zu stimmen; es wurde abwechselnd unscharf und wieder scharf, und sie kniff die Augen fest zusammen, um wieder klar zu sehen. Doch es lag nicht an ihren Augen – es lag an ihm. Sein Gesicht verschmolz langsam von drohend gefletschten Zähnen zu einer Miene schwachen Erstaunens. Er runzelte die Stirn und spitzte die Lippen, so dass sie seine rosa Mundschleimhaut sehen konnte, und blinzelte zwei- oder dreimal. Dann stieß er ein kleines, ersticktes Geräusch aus, hob die Hand an seine Brust und sank auf die Knie, ohne ihren Arm loszulassen.
    Er fiel um, und sie landete auf ihm. Sie wich zurück – seine Finger lösten sich problemlos, denn alle Kraft war unvermittelt aus ihnen gewichen – und erhob sich stolpernd. Sie zitterte und keuchte.
    Emmanuel lag auf dem Rücken und hatte die Beine in einem Winkel unter sich liegen, der furchtbar schmerzhaft gewesen wäre, wenn er noch gelebt hätte. Sie schnappte zitternd nach Luft und wagte kaum, es zu glauben. Doch er war tot; da gab es keinen Zweifel.
    Das Atmen fiel ihr jetzt leichter, und sie begann, die Schürfwunden und
Prellungen an ihren nackten Füßen zu spüren. Sie war immer noch wie gelähmt, und es fiel ihr schwer zu entscheiden, was sie jetzt tun sollte.
    Die Entscheidung wurde ihr im nächsten Moment abgenommen, als Stephen Bonnet durch den Wald auf sie zugeschossen kam.
     
    Sie war mit einem Ruck hellwach und machte auf dem Absatz kehrt. Sie kam nicht weiter als sechs Schritte, dann legte er ihr einen Arm um die Kehle und riss sie an sich.
    »Schön leise, Schätzchen«, sagte er ihr atemlos ins Ohr. Er war heiß, und seine Bartstoppeln kratzten ihr über die Wange. »Ich werde dir nichts tun. Ich werde dich am Strand zurücklassen. Aber im Moment bist du das Einzige, was ich habe, das deine Männer davon abhalten wird, mich umzubringen.«
    Er würdigte Emmanuels Leiche keines Blickes. Sein schwerer Arm ließ von ihrer Kehle ab, und er packte sie am Arm und versuchte, sie in die dem Strand entgegengesetzte Richtung zu zerren. Offenbar hatte er vor, den verborgenen Kanal an der anderen Seite der Insel anzusteuern, wo sie tags zuvor gelandet waren. »Los, Schätzchen. Schnell.«
    »Loslassen!« Sie stemmte ihre Füße fest auf den Boden und riss an dem Arm, den er in der Mangel hatte. »Ich gehe nirgendwo mit Euch hin. HILFE!«, kreischte sie, so laut sie konnte. »HILFE! ROGER!«
    Er sah erschrocken aus und hob den freien Arm, um sich den strömenden Regen aus den Augen zu wischen. Er hatte etwas in der Hand; das letzte Licht glänzte orangefarben auf Glas. Himmel, er hatte seinen Testikel dabei.
    »Brianna! Brianna! Wo bist du?« Rogers Stimme, panisch, und bei ihrem Klang durchfuhr sie ein Adrenalinstoß, der ihr die Kraft gab, Bonnet ihren Arm zu entreißen.
    »Hier! Hier bin ich! Roger!«, schrie sie aus vollem Hals.
    Bonnet sah hinter sich; das Gebüsch bewegte sich, und mindestens zwei Männer hechteten auf sie zu. Er verlor keine Zeit, sondern schoss in den Wald, bückte sich, um einem Ast auszuweichen, und war fort.
    Im nächsten Moment kam Roger aus dem Unterholz geschossen und packte sie, um sie an sich zu drücken.
    »Fehlt dir etwas? Hat er dir etwas angetan?« Er hatte sein Messer fallen gelassen und hielt sie an den Armen fest, während er versuchte, mit den Augen überall gleichzeitig zu sein – in ihrem Gesicht, auf ihrem Körper, in ihren Augen …
    »Ich habe nichts«, sagte sie, und ihr wurde schwindelig. »Roger, ich bin -«
    »Wo ist er hin?« Das war ihr Vater, tropfnass und grimmig wie der Tod, den Dolch in der Hand.
    »Da -« Sie drehte sich, um in die Richtung zu zeigen, doch er war schon fort und rannte Bonnet nach wie ein Wolf. Jetzt sah auch sie Bonnets Spuren,
seine deutlichen Fußabdrücke im Sand. Bevor sie sich wieder umdrehen konnte, war Roger ihm gefolgt.
    »Warte!«, kreischte sie, doch es kam keine Antwort außer dem Rascheln achtlos rennender Körper im Gebüsch, das sich rapide entfernte.
    Sie stand ein paar Sekunden still und ließ den Kopf hängen, während sie atmete. Der Regen sammelte sich in den Höhlen von Emmanuels offenen Augen; das orange Licht glühte

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