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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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prasselnden Regen, und sie duckte sich, begriff dann aber, dass es nicht sehr wahrscheinlich war, dass jemand aufblickte und sie entdeckte. Als sie den Kopf hob, um durch das Geländer zu spähen, sah sie Gestalten aus dem Wald an den Strand gehen – eine Reihe hintereinander geketteter Männer mit zwei oder drei Wächtern.
    »Josh!« Sie bemühte sich angestrengt, etwas zu erkennen, doch im gespenstischen Zwielicht waren die Gestalten nicht mehr als Umrisse. Sie glaubte, die hoch gewachsenen, schlanken Gestalten der beiden Fulani-Männer auszumachen – vielleicht war der kleinere hinter ihnen Josh, doch sie konnte es nicht sagen.
    Ihre Finger klammerten sich ohnmächtig um das Geländer. Sie konnte nicht helfen, das wusste sie, doch zum bloßen Zusehen gezwungen zu sein … Während sie die Prozession noch beobachtete, erscholl am Strand ein schriller Schrei, und eine kleinere Gestalt rannte mit wehenden Röcken aus dem Wald. Die Wächter drehten sich aufgeschreckt um; einer von ihnen packte Phaedre – sie musste es sein; Brianna hörte sie »Josh! Josh!« schreien, rau wie der Schrei einer fernen Möwe.
    Sie kämpfte mit dem Wächter – einer der Angeketteten drehte sich abrupt um und stürzte sich auf den anderen. Ein Knoten von Männern fiel ringend in den Sand. Jemand rannte von dem Boot auf sie zu, etwas in der Hand…
    Die Vibration unter ihren Füßen riss ihr Augenmerk von der Szene am Strand los.
    »Mist!«, sagte sie unwillkürlich. Emmanuel steckte den Kopf über die Dachkante und starrte sie ungläubig an. Dann verzog er das Gesicht, und er hievte sich hoch – an der Hauswand musste eine Leiter montiert sein, dachte sie; natürlich, man baute sich ja keine Aussichtsplattform, zu der man keinen Zugang hatte…
    Während sich ihr Verstand mit diesem Unsinn befasste, ergriff ihr Körper konkretere Maßnahmen. Sie hatte die angespitzte Elfenbeinstange gezogen und hockte auf der Plattform. Sie hielt die Hand niedrig, so wie Ian es ihr beigebracht hatte.
    Emmanuel betrachtete den Gegenstand in ihrer Hand mit verächtlicher Miene und griff nach ihr.
     
    Sie konnten den Herrn kommen hören, lange bevor sie ihn sahen. Er sang leise vor sich hin, irgendein französisches Liedchen. Er war allein; der Bedienstete musste zum Boot zurückgekehrt sein, während sie sich ihren Weg durch den Wald bahnten.
    Roger erhob sich langsam und verharrte gebückt hinter dem Busch, den
er sich ausgesucht hatte. Er war am ganzen Körper steif und räkelte sich unauffällig.
    Als der Herr ihn erreichte, trat Jamie vor ihn auf den Weg. Der Mann – ein schmächtiges, geckenhaft aussehendes Kerlchen – kreischte alarmiert auf wie ein Mädchen. Doch bevor er die Flucht ergreifen konnte, hatte Jamie ihn am Arm gepackt. Dabei lächelte er freundlich.
    »Euer Diener, Sir«, sagte er höflich. »Habt Ihr wohl zufällig Mr. Bonnet einen Besuch abgestattet?«
    Der Mann blinzelte ihn verwirrt an.
    »Bonnet? Aber, aber… ja.«
    Roger spürte, wie die Enge in seiner Brust plötzlich nachließ. Gott sei Dank. Sie waren hier richtig.
    »Wer seid Ihr, Sir«, fragte der schmächtige Mann jetzt fordernd, während er vergeblich versuchte, Jamie seinen Unterarm zu entwinden.
    Sie brauchten sich jetzt nicht mehr zu verstecken; Roger und Ian traten aus dem Gebüsch, und der Herr keuchte auf, als er Ian mit seiner Kriegsbemalung erspähte. Verstört ließ er seinen Blick zwischen Jamie und Roger hin und her pendeln.
    Da ihm Roger wohl der Zivilisierteste unter den Anwesenden zu sein schien, richtete sich der Herr flehend an ihn.
    »Ich bitte Euch, Sir – wer seid Ihr und was wollt Ihr?«
    »Wir sind auf der Suche nach einer jungen Frau, die entführt worden ist«, sagte Roger. »Ziemlich hoch gewachsen mit roten Haaren. Habt Ihr-« Bevor er seinen Satz beenden konnte, sah er, wie sich die Augen des Mannes in Panik weiteten. Jamie sah es ebenfalls und verdrehte dem Mann das Handgelenk, so dass er mit schmerzverzerrtem Mund in die Knie ging.
    »Ich glaube, Sir«, sagte Jamie mit vorbildlicher Höflichkeit, ohne loszulassen, »wir müssen Euch bitten, uns zu sagen, was Ihr wisst.«
     
    Sie konnte nicht zulassen, dass er sie zu fassen bekam. Das war ihr einziger bewusster Gedanke. Er griff nach ihrem unbewaffneten Arm, und sie riss sich los, so dass er auf ihrer regennassen Haut abrutschte, und holte im selben Zug nach ihm aus. Die Spitze des Elfenbeins rutschte an seinem Arm entlang und hinterließ eine Furche, die sich zunehmend rötete, doch er

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