Ein Hauch von Schnee und Asche
Brianna – kannst du mit mir kommen? Bist du kräftig genug – nur kurz?«
Sie schluckte und wischte sich die Nase an ihrem nassen Hemdsärmel ab, dann nickte sie und humpelte auf seinen Arm gestützt in die Dunkelheit unter den Bäumen.
Bonnet lag mit zur Seite hängendem Kopf an einen Baum gelehnt. Er hatte
Blut im Gesicht, das ihm über das Hemd lief. Sie empfand keinen Triumph bei seinem Anblick; nur unendlich erschöpften Ekel.
Ihr Vater stand schweigend unter demselben Baum. Als er sie sah, trat er vor und nahm sie wortlos in die Arme. Sie schloss für einen seligen Moment die Augen und wünschte sich nur noch, alles hinter sich zu lassen, von ihm aufgehoben zu werden wie ein Kind und nach Hause getragen zu werden. Doch es gab einen Grund, warum sie sie hergeholt hatten; mit immenser Mühe hob sie den Kopf und sah Bonnet an.
Erwarteten sie etwa Glückwünsche?, fragte sie sich benommen. Doch dann fiel ihr wieder ein, was Roger ihr erzählt hatte, als er ihr beschrieben hatte, wie ihr Vater ihre Mutter über den Schauplatz des Gemetzels führte und sie zum Hinsehen zwang, damit sie wusste, dass ihre Folterer tot waren.
»Okay«, sagte sie und schwankte sacht. »Ich meine, gut. Ich – ich sehe es. Er ist tot.«
»Tja … nein. Das ist er nicht.« Rogers Stimme hatte einen seltsam angestrengten Unterton, und er hustete und warf ihrem Vater einen vernichtenden Blick zu.
»Wünschst du dir seinen Tod, Brianna?« Ihr Vater berührte sie sanft an der Schulter. »Es ist dein gutes Recht.«
»Ob ich -« Sie blickte wild vom einen der ernsten, finsteren Gesichter zum anderen, dann zu Bonnet und begriff erst jetzt, dass ihm das Blut über das Gesicht lief . Tote, das hatte ihre Mutter ihr schon oft erklärt, Tote bluten nicht.
Sie hatten Bonnet gefunden, sagte Jamie, ihn gestellt wie einen Fuchs und sich über ihn hergemacht. Es war ein böser Kampf gewesen, aus nächster Nähe und mit Messern, weil ihre Pistolen durch die Nässe nutzlos waren. Bonnet, der gewusst hatte, dass er um sein Leben kämpfte, hatte sich brutal gewehrt – Jamies Rockschulter hatte einen rot durchtränkten Schlitz, Roger hatte einen Kratzer am Hals, wo ihm eine Messerklinge um Haaresbreite die Schlagader durchtrennt hätte. Doch Bonnet hatte gekämpft, um zu entkommen, nicht, um zu töten – er war in eine Lücke zwischen den Bäumen zurückgewichen, in die ihm nur ein Mann folgen konnte, und dort hatte er mit Jamie gekämpft, ihn abgeschüttelt und die Flucht ergriffen.
Roger war ihm nachgejagt, hatte sich vor Adrenalin kochend auf den Piraten gestürzt und ihn mit dem Kopf zuerst gegen den Baum gerammt, an dem er jetzt lehnte.
»Und da liegt er nun«, sagte Jamie mit einem trostlosen Blick auf Bonnet. »Ich hatte gehofft, er hätte sich das Genick gebrochen, aber so ist es leider nicht.«
»Aber er ist bewusstlos«, sagte Roger und schluckte.
Sie verstand, und in ihrer gegenwärtigen Stimmung konnte sie diesen Männer-Ehrentick gut nachvollziehen. Einen Mann in einem fairen Kampf zu töten – oder sogar in einem unfairen Kampf – war eine Sache; ihm die
Kehle durchzuschneiden, während er einem bewusstlos zu Füßen lag, eine andere.
Doch sie hatte es falsch verstanden. Ihr Vater wischte seinen Dolch an seiner Hose ab und reichte ihn ihr mit dem Knauf zuerst.
»Was … ich?« Sie war zu schockiert, um auch nur erstaunt zu sein. Das Messer lag schwer in ihrer Hand.
»Wenn du es möchtest«, sagte ihr Vater ernst und zuvorkommend. »Wenn nicht, werden Roger Mac oder ich es tun. Aber es liegt bei dir, a nighean .«
Jetzt verstand sie Rogers Blick – sie hatten sich deswegen gestritten, bevor er sie holen kam. Und sie verstand haargenau, warum ihr Vater ihr die Wahl ließ. Ob Rache oder Vergebung, das Leben des Mannes lag in ihrer Hand. Sie holte tief Luft, und das Bewusstsein, dass es nicht Rache sein würde, überkam sie gemeinsam mit einer Art Erleichterung.
»Brianna«, sagte Roger leise und berührte sie am Arm. »Sag nur ein Wort, wenn du willst, dass er stirbt; ich tue es.«
Sie nickte und holte tief Luft. Sie konnte das wilde Sehnen in seiner Stimme hören – genau wie er. Doch in ihrer Erinnerung hörte sie auch den erstickten Klang seiner Stimme, als er ihr erzählt hatte, wie er Boble umgebracht hatte – als er in Schweiß gebadet aufwachte, weil er davon geträumt hatte.
Sie warf einen Blick auf das Gesicht ihres Vaters, das beinahe ganz im Schatten versank. Ihre Mutter hatte ihr nur ganz wenig von den
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