Ein Hauch von Seide - Roman
seiner Unfreundlichkeit zu Tränen trieb, wenn sie ihn reizten oder langweilten.
Aber was machte es schon, wenn er die Gefühle dieser kleinen Zicke hier verletzte? Warum scherte er sich darum? Er wandte sich wieder der Schreibmaschine zu und atmete schwer über der ungeliebten Aufgabe, unnötig erschwert durch die winzig kleinen Tasten und seine großen Hände.
Ehrlich, dieser Mann war widerlich und ungehobelt, fand Emerald geringschätzig. So viel Geschnaufe und Gefluche. Er sah aus, als wäre er eher auf einem Bauernhof zu Hause als hier, obwohl er auch dort sicher nur niedere Arbeiten verrichtete. Er war nicht einmal anständig gekleidet. Statt eines Straßenanzugs trug er so eine alberne enge schwarze Hose, wie sie gewisse junge Bohemiens trugen, zusammen mit einem schwarzen Rollkragenpullover mit hochgeschobenen Ärmeln, die muskulöse, gebräunte Unterarme entblößten. Eine Locke seines dichten braunen Haars hing ihm fast über die Augen, was nur zu seiner ungepflegten Erscheinung beitrug. Emerald war bei Männern den traditionellen kurzen Haarschnitt am Hinterkopf und an den Seiten gewohnt, wie Establishment und Militär ihn bevorzugten.
Als plötzlich die Wohnungstür aufging, wandten beide den Kopf, und Emeralds rasch aufgesetztes Lächeln geriet einen Augenblick ins Stocken, als der Society-Fotograf hereinkam. Sie hatte nicht erwartet, dass er unter seiner Lederjacke dieselbe Boheme-Kluft tragen würde wie sein Faktotum. Und um den Hals trug er dazu noch ein rot-weiß gepunktetes Taschentuch.
Lew war zurück, und zwar allein. Dougie merkte sofort, dass sein Chef in schlechter Stimmung war. Er strahlte eine unterdrückte Spannung und Gereiztheit aus, die Dougie inzwischen gut kannte und die sich, wie vorauszusehen war, augenblicklich auflöste, als sein Blick auf Emerald fiel. Er schenkte ihr einen schmeichelnden Blick und ein warmes Lächeln.
Jetzt haben wir den Salat, dachte Dougie. Um das nachmittägliche Schäferstündchen mit seiner Freundin gebracht, saß Lew auf glühenden Kohlen, bis er seine sexuelle Spannung abgebaut hatte, und hier hockte diese vornehmtuerische kleine Madame und sah ihn mit selbstbewusster Erwartung an. Geschah ihr nur recht, wenn Dougie sie ihrem Schicksal überließ und sie eine der vielen wurde, die von Lew aufgegabelt, verführt und dann in aller Öffentlichkeit fallen gelassen wurden – womit ihr Ruf dann endgültig ruiniert war.
Lew spielte seinen ganzen Charme aus, als er zu Emerald hinüberging, um ihr die Hand zu reichen und sie um Verzeihung zu bitten.
»Es tut mir leid. Ich hoffe, Sie mussten nicht allzu lange warten.«
»Sie hat keinen Termin«, fühlte Dougie sich verpflichtet klarzustellen, doch die beiden achteten gar nicht auf ihn. Sie blickten einander vielmehr tief in die Augen.
»Ich habe Ihnen geschrieben, weil ich möchte, dass Sie meine Debütantinnenfotos machen«, sagte Emerald und betonte ihren geschliffenen Akzent plötzlich noch mehr, was an Dougies strapazierten Nerven kratzte. »Sobald ich Ihr Foto von Amelia Longhurst gesehen hatte, habe ich Mummy gesagt, ich könne mich unmöglich von jemand anders fotografieren lassen.« Sie strich beim Reden mit der Hand den Rock glatt. Sie hatte sich für dieses Treffen sehr sorgfältig gekleidet: ein blassblaues Kaschmir-Twinset, dessen Schlichtheit mit einer Reihe schimmernder Perlen kontrastierte, und ein weitgeschnittener Mohairrock in einem tiefen Rosenrot, der ihre schlanke Taille ebenso betonte wie der breite schwarze Lackgürtel darüber. An den Füßen trug sie hochhackige Schuhe, und ihre Handtasche war von Hermès. Ihr Haar, an diesem Morgen frisch zu einer Hochfrisur toupiert, sah aus wie zart gesponnenes Glas, und ihre Lippen waren mit einem zartrosa Lippenstift geschminkt. Sie sah – zu diesem Schluss war sie gekommen, bevor sie ihr Schlafzimmer verließ – absolut köstlich aus, und sie hatte schon das Foto und die entsprechende Bildunterschrift vor Augen, die im Tatler erscheinen würden.
»Lady Emerald Devenish ist zweifellos die Debütantin der Saison. Ihr Ball wird im Haus ihres verstorbenen Vaters am Eaton Square stattfinden, und Seine Königliche Hoheit, der Herzog von Kent, wird zusammen mit seiner Mutter, Prinzessin Marina, daran teilnehmen.«
Die Einladung war schon rausgegangen, und Emerald wusste genau, zu welchen Spekulationen die Formulierung der Bildunterschrift Anlass geben würde. In der Sprache der Klatschkolumnisten waren sie damit so gut wie verlobt, doch wenn
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