Ein Hauch von Seide - Roman
Stattdessen trat er an ihr vorbei und öffnete die Tür zu dem lange verwahrlosten Raum, in dem er seinen Salon einrichten wollte.
»Kommen Sie, und werfen Sie einen Blick hinein …«
8
Während Lew mit seiner neuesten Eroberung zum Mittagessen war, saß Dougie vor der kleinen tragbaren Schreibmaschine und tippte eine Liste potenzieller Kunden, die Lew ihm dagelassen hatte. Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Für den Nachmittag waren keine Sitzungen gebucht, und Dougie befürchtete, dass Lew, wenn er zurückkam, die junge Frau mitbringen würde, hinter der er schon eine Weile her war. Dann würde er Dougie sagen, er solle für heute Feierabend machen. Das Klopfen setzte sich fort, und als er sich deswegen zweimal vertippte, schob Dougie leise fluchend seinen Stuhl nach hinten und stand auf.
Emerald wartete ungeduldig vor der Tür. Sie hatte sich nicht dadurch entmutigen lassen, dass der von Tatler und Queen gerühmte Top-Society-Fotograf nicht auf ihren Brief aus Paris geantwortet hatte. Nach wie vor war sie fest davon überzeugt, dass er unbedingt ein neues offizielles Debütantinnenporträt von ihr aufnehmen musste.
Bei ihrer Rückkehr nach London hatte sie bald herausgefunden, dass sie bei weitem nicht die einzige Bewerberin für die Position der Königlichen Hoheit, der Herzogin von Kent, war und dass diejenigen, denen es gelang, sich seine Anwesenheit bei einem Empfang zu sichern, sorgfältig darüber wachten, welche Debütantinnen dabei die Gelegenheit bekamen, dem Herzog vorgestellt zu werden. Zum Beispiel würde natürlich keine Mutter einer Debütantin Emerald freudig zu einer Party einladen, bei welcher der Herzog anwesend war. Das begriff Emerald schnell, und sie begriff auch, dass sie sich äußerst subtiler, wenn nicht gar hinterlistiger Methoden bedienen musste, wenn sie die Aufmerksamkeit des Herzogs erregen wollte. Von Lewis Coulter fotografiert zu werden und dann von der Presse als die hübscheste Debütantin der Saison gefeiert zu werden wäre ein kluger Schachzug. Seine Mutter las mit Sicherheit sämtliche gängigen Zeitschriften, und Emerald konnte sich leicht vorstellen, wie sie ihrem Sohn Emeralds Foto zeigte und ihn auf ihre makellose Abstammung hinwies. Zumindest auf der Seite ihres Vaters. Eine Schande, dass ihre Mutter nicht einer besseren Familie entstammte. Emerald kniff die Lippen zusammen. Dann müsste sie sich keine Strategien überlegen, um die Aufmerksamkeit des Herzogs auf sich zu lenken, denn dann würde Prinzessin Marina selbstverständlich zum gesellschaftlichen Kreis ihrer Mutter gehören.
Statt sich in London zu etablieren und sich in Gesellschaft zu begeben, verbrachte der junge Herzog seine Zeit ärgerlicherweise vornehmlich auf dem Land. Emerald verzog ein wenig das Gesicht vor Abscheu. Sobald sie verheiratet waren, würde sich das ändern. Sie konnte dem Landleben überhaupt nichts abgewinnen. Sicher, sobald sie ihr erstes Kind zur Welt gebracht hatte – natürlich einen Sohn –, war es ihrem Gemahl durchaus erlaubt, sich auf dem Land aufzuhalten, wenn er dies wünschte, während sie die Zeit mit ihren Freundinnen in London verbrachte, doch als frisch verheiratetes Paar würden sie überall zusammen erscheinen, er – wie es sich gehörte – bis über beide Ohren in sie verliebt.
Sie klopfte noch einmal. Hatte Emerald sich einmal zu etwas entschlossen, duldete sie keinen Aufschub, es in die Tat umzusetzen, und sie war ungeduldig, die ersten Schritte zu unternehmen, damit der Herzog um sie warb.
Das kalte, nasse Februarwetter hatte dafür gesorgt, dass bis auf Emerald der ganze Haushalt mit einer schweren Erkältung daniederlag, und so war es ihr möglich gewesen, ohne die Begleitung ihrer Patin zu entfliehen, um den Fotografen aufzusuchen.
Emerald lebte gern in Lenchester House. Schließlich war es von Rechts wegen mehr ihr Haus als das von jemand anderem. Es war ja schön und gut, dass ihre Mutter sie immer wieder darauf hinwies, Mr Melrose halte hartnäckig an dem Glauben fest, es gebe einen Erben. Mr Melrose war schließlich ein alter Mann. Aber wenn es einen solchen Erben gab, warum hatte er sich dann noch nicht vorgestellt und seinen Anspruch auf den Herzogstitel angemeldet?
Emerald hob die Hand, um noch einmal an die Tür zu klopfen, doch da wurde sie von einem großen, breitschultrigen jungen Mann mit dickem, ungekämmtem dunkelbraunem Haar mit helleren Spitzen geöffnet. Er schaute ziemlich mürrisch drein.
Emerald, die in
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