Ein Hauch von Seide - Roman
jemand ihr vorwerfen würde, sie bausche die Situation auf, würde sie schlicht so tun, als wüsste sie nicht, wovon er redete.
Der Fotograf war enttäuschend klein für einen Mann, der in den Klatschkolumnen als Lebemann und Frauenschwarm gehandelt wurde, doch als Mann interessierte er Emerald nicht mehr als der ungeschlachte Australier. Er war nur ein Mittel zum Zweck.
»Tatsächlich.«
Lew war wütend geworden, als seine Verabredung – eine hübsche junge Frau, deren Gemahl die Stadt hasste und es vorzog, sich auf ihrem Gut auf dem Land aufzuhalten – sich geweigert hatte mitzumachen und so getan hatte, als wäre ihr nicht klar gewesen, warum er vorgeschlagen hatte, zusammen zu Mittag zu essen, und was ihm für den Rest des Nachmittags vorgeschwebt hatte. Doch jetzt hatten die düsteren Wolken, die seine Laune verfinstert hatten, sich gelichtet. Diese junge Frau war, wenn überhaupt, noch hübscher als Louise und, wenn er sich nicht ganz täuschte, um einiges sinnlicher. Das sah man sofort. Sie hatte das gewisse Etwas, das nichts mit Erfahrung zu tun hatte. Sie strahlte es aus – ein besonderes Leuchten der Haut oder ein eindeutiger Duft in der Luft um sie herum. Diese junge Frau, äußerlich eine typische jungfräuliche Debütantin, war innerlich ein Vulkan der Leidenschaft. Sie zu lehren, ihre Sexualität zu genießen, wäre wie heiße Schokoladensoße auf kalter Eiscreme.
»Sie kommen besser mit rauf in mein Studio«, erklärte er Emerald. Ohne den Blick von ihrem Gesicht zu wenden, fügte er, an Dougie gewandt, hinzu: »Bitte sorg dafür, dass ich den restlichen Nachmittag nicht gestört werde.«
Dougie verließ der Mut.
Aber warum sollte er ihn aufhalten? Wenn sie sich zum Narren machen und ihren guten Namen für einen Mann aufs Spiel setzen wollte, dem sein Ruf weit vorauseilte, warum sollte er sich darum scheren?
Weil sie, wenn er tatsächlich dieser Herzog war, zu seiner Familie gehörte, deswegen, und dann war es seine Pflicht, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um seine Familie und ihren Namen zu schützen. Für die zukünftigen Ehemänner dieser jungen Mädchen war die Jungfräulichkeit ihrer Bräute fast genauso wichtig wie ihre Herkunft und ihr Vermögen. All das wegen des unglaublich wichtigen erstgeborenen Sohns – und ein Sohn musste es sein. Sobald die Erbfolge gesichert war, schien es ihnen egal zu sein, mit wem ihre Frauen ins Bett hüpften, so kam es Dougie jedenfalls vor. Er sagte nicht, dass er so eine Praxis guthieß; wenn er ehrlich war, hatte er auch etwas gegen ererbte Titel, aber das änderte nichts daran, dass es sie nun mal gab. Er war der lebende Beweis dafür. An einem Tag ein ganz gewöhnlicher Schaffarmer in Australien, am nächsten Tag ein Herzog!
Doch bevor er sich hier als Retter des Familiennamens und der Familienehre aufspielte, sollte er vielleicht zuerst einmal diesen Mr Melrose aufsuchen.
Lew liebte seine Arbeit, und er liebte Sex. Es bedeutete für ihn also keine Härte, Emerald zu fotografieren, bevor er sie verführte. Eine junge Frau zu fotografieren war vielmehr der beste Teil seiner Verführungstechnik. Es erregte und stimulierte ihn, wenn er zusah, wie der Gedanke, dass die Linse seiner Kamera ihre Schönheit einfing und auf ewig einfror, sie betörte. Und dann natürlich all die kleinen Berührungen, wenn er ihnen zeigte, wie sie für ihn posieren sollten, wenn er sie lenkte, ihre Gliedmaßen neu arrangierte, sie mit theatralischen Komplimenten und neckenden kleinen Küssen bedachte. Kein Wunder, dass sie so wild auf ihn waren, wenn er sie danach mit ins Bett nahm.
Während Emerald sich gelangweilt im Studio umsah, legte er eine Platte mit Schmusemusik von Frank Sinatra auf, um sie in Stimmung zu bringen. Ihr war inzwischen durchaus bewusst, wie der Nachmittag Lews Meinung nach enden sollte, doch da musste sie ihn enttäuschen. Sie würde ihm gewiss nicht ihre Jungfräulichkeit opfern, doch da sie wollte, dass er sie fotografierte, würde sie ihn hinhalten. Wenn sie ihm sagte, dass sie ihre Regel hatte, konnte sie sich ihn für heute vom Hals halten, und wenn sie vorbeikam, um sich die Abzüge anzusehen, würde sie Lydia mitbringen. Ein Anruf beim Tatler , bei dem sie sich als ihre Mutter ausgab, sollte dafür sorgen, dass die Zeitschrift sich wegen der Fotos mit Lew in Verbindung setzte, und sie würde zusehen, dass sie die gewünschte Bildunterschrift hinzufügten.
Ein rascher Blick durch seine Kameralinse überzeugte Lew davon, dass Emerald
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