Ein Hauch von Seide - Roman
Gesellschaftsspalten Fotos von Lewis Coulter gesehen hatte, warf Dougie nur von oben herab einen Blick zu und erklärte: »Ich bin hier, um Lew zu sehen.« Dann fegte sie an ihm vorbei, und ihm blieb nichts anderes übrig, als die Tür hinter ihr zu schließen.
»Er empfängt niemanden ohne Termin«, bemerkte Dougie, doch Emerald zuckte nur die Achseln.
»Ich habe ihm geschrieben, um ihm mitzuteilen, dass ich zu ihm komme, und er wird mich empfangen. Meine Mutter wünscht ausdrücklich, dass er mein Debütantinnenfoto aufnimmt.« Die Lüge kam ihr ohne ein Wimpernzucken über die Lippen.
»Lew ist im Augenblick nicht hier und kommt nicht vor … also, das kann noch dauern, aber Sie können mir gern Ihre Adresse dalassen, dann sage ich ihm, dass Sie da waren. Wie heißen Sie?«
»Lady Emerald Devenish«, erklärte Emerald Dougie hochmütig, denn aufgrund seines australischen Akzents fühlte sie sich berufen, ihm mit unverhohlener Verachtung zu begegnen.
Lady Emerald Devenish. Das war der Familienname der Lenchesters. Dies war also … Dougie ließ den Türknauf los, den er immer noch festhielt, und eilte hinter Emerald her. Dabei stieß er gegen seinen Schreibtisch.
Emerald warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Sie würde ihren Charme gewiss nicht an einen Langweiler aus den Kolonien mit einem grässlichen australischen Akzent vergeuden. Wie seltsam, dass ein Fotograf von Lews Ruf, der es doch gewiss besser wusste, so einen ungeschlachten Australier beschäftigte.
Dougie beobachtete Emerald argwöhnisch. Sie entsprach exakt seiner Vorstellung von einer Angehörigen der Oberschicht. Obendrein war sie seine nächste Verwandte – eine echte Blutsverwandte, wenn dieser Melrose recht hatte. Vielleicht sollte er den Anwalt doch aufsuchen. In diesem Augenblick hätte es ihm großes Vergnügen bereitet, ihr unter die Nase zu reiben, wer er war. Wenn das, was er vom Leben der feineren Gesellschaft mitbekommen hatte, stimmte, dann war es noch gar nicht lange her, dass die ganze adlige Familie Haltung annahm, wenn ihr Oberhaupt das Wort ergriff. Zugegeben, der Gedanke, dass diese arrogante kleine Schönheit gezwungen sein würde, vor ihm einen Kotau zu machen, hatte durchaus seinen Reiz. Andererseits, trug das Oberhaupt so einer Familie nicht auch große Verantwortung? Zum einen musste der Familienname unbedingt makellos bleiben – zumindest hatte er das aus einigen von Lews Erzählungen geschlossen. Sollte Lew allerdings dieses kleine Biest hier in die Hände kriegen, war es mit der Makellosigkeit des Namens der Familie Lenchester bald nicht mehr weit her.
Dieser plötzliche Anfall von Beschützerinstinkt und Verantwortungsgefühl war ebenso unvertraut wie unangenehm, und Dougie schüttelte ihn entschlossen ab. Schließlich war nicht einmal bewiesen, dass er dieser verdammte Herzog war, und solange er nicht zu Mr Melrose ging, würde es auch nicht bewiesen werden. Was wollte er mit einem Titel und der Verantwortung für eine junge Frau wie die hier, die ihm jetzt schon auf den Wecker ging?
»Warum machen Sie nicht einen Termin und kommen wieder, wenn Lew hier ist?«, meinte er, denn er fand, es wäre für den Augenblick das Beste, sie wieder loszuwerden – wenn auch nur um seinetwillen. Wenn es lief wie üblich, dann kehrte Lew wahrscheinlich jeden Augenblick mit seiner neuesten Eroberung zurück.
Glaubt dieser … dieser australische Niemand wirklich, ich würde darauf reinfallen?, überlegte Emerald. Sie sah sich in dem kleinen Wohnzimmer um, ging zu einem Sofa und setzte sich behutsam so darauf, dass ihre Beine vorteilhaft zur Geltung kamen.
»Ich warte«, verkündete sie, nahm sich eine Zeitschrift vom Tisch und schlug sie auf.
Was für eine Kratzbürste, dachte Dougie. Man hätte sie vor Jahren schon übers Knie legen und ihr so lange den Hintern versohlen sollen, bis sie ein paar Manieren gelernt hatte. Jetzt war es natürlich zu spät. Sie war auf jeden Fall ganz anders als die drei jungen Frauen, die er auf der Party kennengelernt hatte. Sie waren anständig gewesen, nicht so arrogante kleine Snobs wie die hier. Na, wenn Lew kam, würde sie ihr blaues Wunder erleben. Lews Lieblingsmantra war, dass kein Tag es wert war, gelebt zu werden, wenn er nicht sowohl Sex als auch Arbeit enthielt, und wenn er wiederkam, dann hatte er mit Sicherheit Sex im Sinn. Wenn ihm der Sinn danach stand, konnte Lew bissig grausame herabsetzende Bemerkungen fallen lassen. Dougie hatte schon miterlebt, dass er Mädchen mit
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