Ein Hauch von Seide - Roman
ihr Vater einst ihre Mutter.
Solange sie John liebte, konnte kein anderer Mann sie verletzen oder kränken. Und sie würde John immer lieben. Immer. Obwohl sie wusste, dass daraus nichts werden konnte. Stattdessen verbarg sie ihre Liebe zu ihm in ihrem Herzen und konzentrierte sich auf ihre Arbeit und darauf, ihrer Tante Amber das in sie gesetzte Vertrauen zu vergelten.
»Als ich sagte, Brustbilder von Mädchen, habe ich Porträtaufnahmen gemeint«, erklärte sie Josh jetzt ernst, sich fest auf die Gegenwart konzentrierend, »und keine Posen, die besser zu einem bestimmten Typ von Zeitschrift passen würden.«
Josh brach in Gelächter aus. »Ollie wäre gekränkt, wenn er das gehört hätte. Er fotografiert Mannequins für Vogue , nicht für Men Only .«
Rose merkte, dass ihr Gesicht brannte. Rasch wandte sie sich um und eilte die Treppe hinauf, wo auf die erste Tür ein windschiefes »WC« gemalt war.
»Sie müssen unbedingt für anständige Toiletten sorgen«, erklärte sie. »Zumindest, wenn Sie junge Frauen anziehen wollen.«
Sie hatte nicht gemerkt, dass in ihren Worten eine Zweideutigkeit lag, bis Josh noch einmal laut auflachte.
»Daran ist es also bisher immer gescheitert, wenn ich Mädchen zu mir nach Hause mitgenommen habe«, witzelte er. »Und ich habe mir sogar eine andere Zahncreme zugelegt, weil ich dachte, ich hätte womöglich Mundgeruch. Sie meinen also, ich sollte mir so einen schicken gehäkelten Überzug für die Toilettenpapierrolle besorgen?«
Rose musste unwillkürlich lachen. Sie ließ sich keine Minute auf den Arm nehmen. Sie bezweifelte, dass den jungen Frauen, die bereit waren, mit diesem Mann nach Hause zu gehen, etwas daran lag, wie sein Bad aussah. Doch sie wollte seinem Ego nicht noch nachhelfen, indem sie ihm das erzählte, war sie sich doch ziemlich sicher, dass er das selbst wusste.
Stattdessen sagte sie überheblich: »Ich weiß natürlich nicht, was für eine Art von Kundschaft Sie anziehen möchten.«
»Stinkfeine junge Frauen wie Sie würden sich ihre Haare also nicht in dem Salon eines jüdischen Friseurs aus der Arbeiterklasse machen lassen, wenn es in diesem Salon nicht einmal eine anständige Toilette gäbe, habe ich das richtig verstanden?«
Er klang jetzt eher schroff als amüsiert. Seine offensichtliche Verachtung ließ Rose zusammenfahren, doch sie behauptete ihren Standpunkt.
»So war das nicht gemeint. Es hat nicht das Geringste mit ›stinkfein‹ zu tun. Einige der prächtigsten Herrenhäuser auf dem Land haben die altmodischsten Badezimmer, die man sich nur vorstellen kann. Es geht darum, dass Sie Ihrer weiblichen Kundschaft das Gefühl geben müssen, Sie schätzen und würdigen sie. Sie müssen dafür sorgen, dass die Frauen sich wohl fühlen, und ihnen gleichzeitig das Gefühl geben, etwas Besonderes verdient zu haben. Schließlich wollen Sie doch, dass sie deswegen zu Ihnen kommen, nicht wahr?«, fühlte sie ihm auf den Zahn. »Nicht nur, weil Sie ihnen die Haare machen können, sondern weil Sie überzeugt sind, ihnen die Haare besser machen zu können als alle anderen, oder?«
Josh war überrascht und beeindruckt von ihrem Scharfsinn. Er sah sie an, als hätte er sie vorher gar nicht richtig angesehen, und in gewissem Sinne hatte er das, wie ihm jetzt aufging, auch nicht. Vorher hatte er sie nur als eine umwerfende junge Frau betrachtet, deren eurasische Schönheit sie zu dem perfekten Modell für die Avantgarde-Haarschnitte machte, über die er und Vidal sich in den frühen Morgenstunden so leidenschaftlich unterhalten hatten. Sie waren auf ihre je eigene Art fest entschlossen, die altmodische Vorstellung von streng angeordneten und mit Festiger »fixierten« Frisuren abzuschaffen und sie durch präzise Schnitte zu ersetzen, die den natürlichen Bewegungen von weiblichem Haar gerecht wurden.
Während er und Vidal verstanden, was den jeweils anderen antrieb, hatte Rose Josh damit überrascht, dass sie in Windeseile erkannte, wo seine Ambitionen lagen. Sie hatte, wie er sich kleinlaut eingestehen musste, den Nagel auf den Kopf getroffen, denn das war genau das, was ihm vorschwebte.
In diesem Augenblick fasste Josh den Entschluss, dass Rose und niemand sonst für die Ausstattung seines Salons verantwortlich zeichnen sollte, egal wie viel Überredungskunst es ihn kosten würde – und irgendwie wusste er, dass sie überredet werden musste. Er war jedoch kein Narr. Es hatte keinen Sinn, mit der Tür ins Haus zu fallen und sie zu erschrecken.
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