Ein Hauch von Seide - Roman
aufschloss und rasch die Treppe hinauflief.
Joshs Freunde waren typische Vertreter der Arbeiterklasse mit East-End-Akzent. Doch trotz ihres schneidigen Auftretens und ihres verruchten, neckenden Lächelns begegneten sie Rose mit Respekt und verzichteten, wenn sie in Hörweite war, darauf, ihre Gespräche mit Flüchen zu spicken. Rose hatte versucht, die alte Farbe zu entfernen, doch dabei war auch der halb morsche Putz heruntergekommen, und zwei von ihnen hatten die Wände des Treppenhauses neu verputzt, und sie hatten tolle Arbeit geleistet. Genau wie der Maler, auf dem Josh bestanden hatte. Als Rose ihm erklärt hatte, sie wolle die hohen Wände selbst anstreichen, hatte er sie nur entsetzt angesehen.
»Nur über meine Leiche«, hatte er gesagt. »Ich erlaube nicht, dass meine Innenausstatterin sich den Hals bricht, weil sie von der Leiter fällt, nicht solange sie mir noch kein Ausstattungskonzept für meinen Salon gemacht hat.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich finde, wir sollten uns an das Schwarz-Weiß-Thema halten und es hier und da mit einem Touch grellem Pink aufpeppen.«
»Grelles Pink …«, stöhnte Josh. »Sehen Sie mich an, und sagen Sie mir, ob ich aussehe wie ein Mann, der es mit tuntigem grellem Pink hat?«
Rose musste kichern, obwohl sie sich alle Mühe gab, professionell zu bleiben.
»Grelles Pink ist nicht tuntig«, erklärte sie entschieden. »Abgesehen davon stehen Frauen darauf. Ihre Friseure könnten schwarze und pinkfarbene Turbane und Stirnbänder tragen und Dienstkleidung in Schwarz mit applizierten pinkfarbenen Scheren und Fönen. Wie wollen Sie den Salon nennen?«
»Das weiß ich noch nicht. Warum?«
»Nun, wir könnten auch den Namen auf die Arbeitskleidung applizieren.«
»Schön, aber was ist, wenn die vielen Auszubildenden und Friseure, die ich Ihrer Meinung nach einstelle, nicht alles Frauen sind? Was ist, wenn einige davon Männer sind?«
»Die können schwarze Hosen und schwarze Hemden mit Applikationen tragen und dazu vielleicht pinkfarbene Krawatten.«
Sie merkte, dass Josh beeindruckt war, es jedoch nicht zugeben wollte, also fuhr sie leichthin fort: »Sie müssen sich bald einen Namen überlegen. Es gefällt mir, dass Vidal seinen Salon einfach ›Vidal Sassoon‹ genannt hat.«
»Ich könnte meinen ja einfach ›Josh Simons‹ nennen«, schlug Josh vor.
Den Männerstimmen nach zu schließen, die jetzt von oben aus dem Salon drangen, waren Josh und sein Freund, der Fotograf, schon da. Der Salon, dessen Wände ebenfalls frisch verputzt waren, war immer noch nicht mehr als ein leerer Raum, bis auf einen faltbaren Spieltisch und zwei Wiener Stühle, die so ramponiert waren, dass Rose geneigt war, Josh zu glauben, er habe sie vom Sperrmüll gerettet.
Rose gestand sich ein, dass sie viel glücklicher war, wenn sie hier arbeitete, als in den teuren Räumen ihres Chefs in der Bond Street. Sie liebte die Herausforderung, mit einem knappen Budget zu arbeiten und, was noch wichtiger war, etwas Nützliches zu kreieren und nicht nur etwas rein Dekoratives. Der Unterschied zwischen der Arbeit hier und der in dem Laden in der Bond Street führte ihr immer deutlicher vor Augen, wo ihre eigentlichen Ambitionen lagen und wie unglücklich sie war. Hätte sie die Wahl gehabt, argwöhnte Rose, dann hätte sie die Ausbildung zur Innenausstatterin für den Privatbereich bereitwillig gegen eine Ausbildung zur Innenausstatterin für Ladenlokale eingetauscht, doch es gab mindestens zwei gute Gründe, warum das unmöglich war. Der erste und wichtigste Grund war der, dass ihre Tante darauf zählte, dass sie ihr Geschäft übernahm, und der zweite Grund der, dass es, soweit Rose wusste, keine anerkannte Ausbildungsmöglichkeit für jemanden gab, der sich auf Geschäftsräume spezialisieren wollte. Einige Innenausstatter übernahmen zwar solche Aufträge – zum Beispiel Oliver Messel –, doch sie arbeiteten nicht exklusiv in diesem Bereich.
Die Arbeit an Joshs Salon war so eine Offenbarung, dass Rose jetzt unbedingt mehr darüber lernen wollte. Bei der Innenausstattung von Geschäftsräumen und Ladenlokalen ging es nicht nur um Tapeten, Stoffe und die Anordnung von Mobiliar und Kunstwerken; man musste praktische Erwägungen in seine Überlegungen einbeziehen, wie etwa die Versorgung mit Strom und Wasser und die Tatsache, dass solche Räumlichkeiten oft nur gemietet waren und man für Veränderungen die Erlaubnis des Vermieters einholen und unter Umständen auch eine
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