Ein Hauch Von Sterblichkeit
weniger Kraft als zuvor. Das schöne Wetter ging bereits zu Ende, und der Himmel bewölkte sich.
Sie ging hinunter in die Küche und stellte fest, dass sie sich keinen ihrer Tees zubereiten konnte, weil all die kleinen Töpfe mit Kräutern verschwunden waren. Die Ärzte hatten ihr geraten, Milch zu trinken. Im Kühlschrank stand Milch, doch sie hatte keine Lust auf Milch. Sie öffnete eine Flasche Mineralwasser und trank davon.
Die Auswahl in Bezug auf Lebensmittel war gleichermaßen gering. Sie mochte hungrig sein, doch ihr fehlte entschieden die Energie, sich etwas zuzubereiten, das mit der geringsten Art von Anstrengung oder Arbeit verbunden war. Vielleicht hätte sie Liam doch bitten sollen zu bleiben. Aber nein, er hätte einen ganzen Tag verschwendet.
Sie schob zwei Scheiben Brot in den Toaster, und als sie hochsprangen, bestrich sie sie dünn mit Honig, nahm sie mit ins Wohnzimmer und setzte sich dort aufs Sofa, um ihre bescheidene Mahlzeit zu verspeisen. Sie schaltete den Fernseher ein und erwischte die Fünfzehn-Uhr-Nachrichten auf Channel Two. Die Meldungen waren alle langweilig und uninteressant. Was war schon dabei, wenn die Vereinten Nationen irgendwelche Unruhestifter in irgendeiner Problemecke der Welt nicht im Zaum halten konnten? Die Polizei hatte schließlich auch nicht herausgefunden, wer ihr – und Liam – in Castle Darcy so viel Scherereien bereitet hatte!
Das Telefon läutete. Sie stand auf, froh um eine Entschuldigung, den Fernseher ausschalten zu können. Sie erwartete Liam am anderen Ende der Leitung, doch es war Meredith.
»Wie geht es dir? Ich habe im Krankenhaus angerufen und erstaunt erfahren, dass man dich bereits entlassen hat! Brauchst du irgendjemanden bei dir da draußen, der dir hilft?«, fragte Meredith.
»Sie brauchten das Bett, und ich wollte nicht mehr bleiben. Ich mag Krankenhäuser nicht. Danke für dein Angebot, aber Liam kommt heute früh nach Hause, gegen vier schon. Danke noch mal, Meredith, für alles, was du für mich getan hast.«
Sie plauderten noch ein paar Minuten, dann legte Sally den Hörer auf. Fast im gleichen Augenblick läutete das Telefon erneut.
»Sally, hier ist Austin!«
»Oh, Austin!« Sie war froh darüber, Gelegenheit für eine Entschuldigung zu haben, weil sie ihm so viel Scherereien bereitet hatte.
»Meine Liebe, was redest du denn da? Ich bin einfach nur froh, dass du im Büro zusammengeklappt bist und nicht am Steuer auf irgendeiner geschäftigen Straße! Bist du sicher, dass dir nichts mehr fehlt? Ist Liam bei dir zu Hause?«
»Nein, aber er kommt heute schon um vier.«
»Was denn, du bist ganz allein?« Austin klang entsetzt.
»Es ist kein Problem, Austin, wirklich nicht!« Sie legte erneut den Hörer auf, kehrte aufs Sofa zurück und
aß ihren Toast zu Ende. Nachdem sie ihr achtundvierzig Stunden währendes Fasten durchbrochen hatte, erwachte Heißhunger in ihr. Sie ging nach draußen in die Küche, machte weiteren Toast und öffnete eine Dose Pfirsiche. Es war schon eine recht eigenartige Zusammenstellung, doch das war ihr völlig egal. Sie hätte alles gegessen. Das Telefon läutete ein drittes Mal, und diesmal war es Liam. Sie sagte ihm, dass ihr nichts fehle, dass sie gut geschlafen und nach dem Aufstehen etwas gegessen habe. Er wiederholte, dass er um vier Uhr zu Hause sein würde.
Sie hatte erwartet, dass damit die Anrufe ein Ende hätten, doch keine fünf Minuten später läutete das Telefon erneut.
»Sally, Liebes, hier ist Yvonne. Ich bin gerade von unserer Demonstration zurückgekehrt. Ich habe die Truppen entlassen! Ich glaube, wir waren sehr erfolgreich. Bis auf einen kleineren Zwischenfall, doch darum kümmert sich die Polizei. Wie geht es Ihnen, meine Liebe? Sind Sie ganz allein zu Hause? Möchten Sie, dass ich auf mein Fahrrad springe und Ihnen ein wenig Gesellschaft leiste?« Sally lehnte das freundliche Angebot ab.
»Sie müssen selbst sehr erschöpft sein, Yvonne, nach der harten Arbeit heute Morgen.« Sally legte nach diesem Gespräch erneut den Hörer auf. Es war schön, dass sich so viele Leute um sie kümmerten. Doch es war auch anstrengend. Sie sah zum Fenster hinaus. Ein wenig frische Luft wäre jetzt nicht verkehrt. Das Telefon schrillte schon wieder.
»Hallo?« Ein Klicken am anderen Ende war das einzige Zeichen, dass jemand angerufen hatte. Wahrscheinlich die falsche Nummer, vermutete Sally.
Es war schon merkwürdig, wie sehr sie die Ziegen vermisste. Sally ging zur Hecke und sah hinüber. Der
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