Ein Hauch Von Sterblichkeit
Gebiet, wussten Sie das? Ich mag ihn außerdem sehr gern. Ich glaube, er mag mich auch. Ich denke, das ist kein Verbrechen, nicht einmal in England. Aber ich bin kein dummes Gör und kein Kind mehr. Ich erwarte nicht, dass er seine Frau für mich verlässt.«
»Das tun Sie nicht, in der Tat. Sie sind eine sehr intelligente und, wie ich mir denke, eine sehr zielstrebige junge Frau. Es muss ein heftiger Kulturschock sein für jemanden, der unter dem alten DDR-Regime aufgewachsen ist, sich plötzlich in einer westlichen, konsumorientierten Gesellschaft wieder zu finden. Wie Ali Baba, stelle ich mir vor, nachdem er die Räuberhöhle gefunden hatte. Kennen Sie dieses alte Märchen?«
»Natürlich.« Ihre Stimme war voll Spott.
»Es ist ein Märchen für Kinder.«
»Nicht allein für Kinder. Diese alten Märchen vermitteln uns stets einen Eindruck von der menschlichen Natur. Ali Baba fand sich plötzlich von unermesslichen Reichtümern umgeben, und er glaubte, dass er sich bedienen dürfe, in der zweifellos richtigen Annahme, dass diese Schätze nicht auf rechtmäßigem Weg in den Besitz der Räuber gelangt waren. Doch es gab einen Haken. In Ali Babas Fall vierzig, um genau zu sein. Erinnern Sie sich an das Ende der Geschichte, Marita? Die treue Morgana tötete alle Räuber mit kochendem Öl. Als ich ein Junge war, dachte ich lange darüber nach, warum niemand den Versuch unternahm, die Schätze ihren rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben. War Ali Baba dadurch nicht auch zum Dieb geworden? Heute kenne ich den Grund. Das menschliche Gewissen passt sich höchst effektiv den äußeren Umständen an.« Während Markby redete, blitzte in Marita Müllers Augen eine ganze Folge von Gefühlsregungen auf: Zorn, Misstrauen, Abneigung, Vorsicht. Als er geendet hatte, blickten die Augen kalt; diese unglaublich grünen Augen funkelten wie der Frost in der Frühe der vergangenen Wintermorgen. Sie fasste nach dem Ärmel ihres Kimonos und zog ihn über dem bandagierten Arm herab.
»Ich weiß zumindest eines über England und darüber, wie Dinge hier geregelt werden. Ich muss Sie nicht in meiner Wohnung dulden, Herr Polizist! Ich muss nicht mit Ihnen reden, und ich muss mir nicht Ihre Märchen aus Tausendundeiner Nacht anhören. Ihre fünf Minuten sind um. Auf Wiedersehen.« Markby erhob sich von seinem Stuhl.
»Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Marita. Ich bin sicher, es war nicht nur für mich eine interessante Unterhaltung.« Er verließ die Wohnung, während sie noch über seine letzten Worte nachdachte.
Markby kehrte zu seinem um die Ecke geparkten Wagen zurück und setzte sich hinter das Steuer, ohne den Motor anzulassen. Stattdessen dachte er über das Gehörte nach. Das Tuckern eines angelassenen älteren Motors riss ihn aus seinen Gedanken. Der limonengrüne Mini fädelte sich in den Verkehr ein und jagte davon wie ein verrückt gewordener Maikäfer.
Markby griff nach dem Funkgerät und betete, dass Pearce noch im Hauptquartier Dienst tat. Nicht umsonst.
»Dave? Ich glaube, ich habe einen Hasen aufgescheucht. Die junge Frau, Marita Müller. Sie ist gerade weggefahren, als sei der Teufel hinter ihr her. Ich schätze, sie fährt nach Castle Darcy. Ich habe sie in meiner freundlichen Art wissen lassen, dass Liam allein dort ist. Ich folge ihr in ausreichendem Sicherheitsabstand. Sehen Sie zu, dass Sie Prescott finden, und treffen Sie mich draußen im Dorf.«
Auf der schmalen, schon tagsüber wenig befahrenen Landstraße nach Castle Darcy war um diese späte Zeit so gut wie kein Verkehr. Die Scheinwerfer von Markbys Wagen schweiften durch die Dunkelheit und erfassten das Ortsschild. Sekunden später wurde ein Stück voraus am Straßenrand ein anderes Scheinwerferpaar aufgeblendet, um gleich wieder zu verlöschen. Das Signal wies Markby den Weg zu dem auf dem Grünstreifen neben ein paar Bäumen geparkten Zivilfahrzeug von Pearce und Prescott. Markby steuerte an den Straßenrand, schaltete den Motor ab und stieg aus.
Pearce und Prescott kamen ihm entgegen. Prescott hatte eine Taschenlampe dabei.
»Die Frau ist eben angekommen«, berichtete Pearce.
»Wir waren gerade rechtzeitig da. Sie kam mit dem Mini hergefahren und hat sich selbst die Tür zum Cottage aufgeschlossen. Die Vordertür. Caswell muss ihr einen Schlüssel gegeben haben. Ziemlich dämlich von ihm. Ich hätte gedacht, dass eine Intelligenzbestie wie er ein wenig mehr gesunden Menschenverstand besitzt!«
»Das sind eben doch zwei
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