Ein Hauch Von Sterblichkeit
unberechenbar. Sie kommt und sie geht.« Marita Müller zuckte die Schultern. Der weite Kimonoärmel verrutschte, und der Rand eines Verbands wurde sichtbar.
»Und Sie haben sich außerdem am Arm verletzt! Mein Gott, Sie haben eine Pechsträhne«, tröstete Markby sie.
»Sie haben gesagt, Sie wollen über Liam reden!«
»Jetzt ist es Liam, soso. Nicht mehr Dr. Caswell. Aber Sie müssen ihn schließlich sehr gut kennen, nachdem Sie so lange mit ihm zusammenarbeiten. Er hatte in letzter Zeit auch einiges Pech. Wie seine Frau. Sie hatte heute eine weitere schlimme Erfahrung, aber Sie werden sicher erfreut sein zu hören, dass es ihr gut geht und dass sie einstweilen bei einer Freundin wohnt.« Marita zuckte die Schultern.
»Na und? Die Caswells wohnen bei Freunden. Was geht mich das an? Es interessiert mich nicht.«
»Nein, nicht die Caswells. Nur Mrs. Caswell. Dr. Caswell wohnt weiterhin in Castle Darcy, ganz allein. Wie haben Sie sich die Verletzung am Arm zugezogen?«
»Das geht Sie nichts an!«, fauchte sie.
»Ich habe mich geschnitten … im Labor. Ich habe Glasträger fallen lassen.«
»Tatsächlich? Schwierig, sich dabei so in den Arm zu schneiden, sollte man meinen. Die Hand, vielleicht. Aber doch nicht die Oberseite des Unterarms.« Die grünen Augen glitzerten.
»Was wollen Sie eigentlich von mir? Sie haben gesagt fünf Minuten. Zwei Minuten sind bereits um. Jetzt haben Sie nur noch drei!« Markby setzte sich uneingeladen auf einen der weiß angestrichenen Stühle. Er ignorierte die Anzeichen ihrer wachsenden Verärgerung.
»Wenn ich richtig informiert bin, gehören Sie zu jenen graduierten Studierenden, die über das regelmäßige Austauschprogramm hier Gelegenheit zu forschen erhalten? Von welcher Universität kommen Sie denn?« Sie presste die Lippen zusammen, bis ihr Mund eine schmale gerade Linie war, dann stieß sie den Namen hervor:
»Jena.«
»Oh, tatsächlich? Aus der ehemaligen DDR?« Sie sah ihn mitleidig an.
»Die Zeiten haben sich geändert, wissen Sie? Deutschland ist heute wieder vereinigt.«
»Dann ist Jena also nicht Ihre Vaterstadt?« Sie änderte ihre Haltung und zupfte am Ärmel des Kimonos.
»Ich habe keine Vaterstadt, wie Sie das nennen.« Markby lächelte sie an.
»Es ist schade, wenn man keine richtigen Wurzeln hat. Sind Ihre Eltern beide Deutsche? Dieses Zimmer …« Er deutete auf die farbenfrohe Umgebung.
»Wenn ich es sehe, muss ich an ein heißes Klima, freundliche, helle Farben und lateinamerikanische Rhythmen denken.« Diesmal dachte sie nach, bevor sie sich zu einer Antwort durchrang.
»Meine Mutter stammte aus Kuba. Sie war Sängerin. Sie hat in der DDR studiert.« Während Markby die Abkürzung englisch ausgesprochen hatte, benutzte Marita Müller die deutsche Variante; für ihn klang es statt dee-dee-ar wie dayday-air.
»Dort hat sie auch meinen Vater kennen gelernt und geheiratet.«
»Tatsächlich? Und sie ist nie wieder nach Hause zurückgekehrt? Nach Kuba?«
»Doch, sie ist nach Kuba zurück. Wir alle sind nach Kuba gegangen, als ich noch ganz klein war. Mein Vater war Agrochemiker. Er hat in Kuba gearbeitet, bis meine Mutter starb, danach ist er mit mir wieder nach Europa gegangen.«
»Wie alt waren Sie da?«
»Ich war sieben.« Sie wurde allmählich unruhig.
»Aber ich denke, mein Leben geht Sie gar nichts an!«
»Aber es ist sehr interessant! Ich frage mich, ob Sie wussten, dass Dr. Caswells Ehefrau sehr vermögend ist?« Sie blinzelte und runzelte die Stirn. Der plötzliche Themenwechsel verunsicherte sie. Markby wiederholte seine Frage.
»Ich sitze nicht auf meinen Ohren!«, fauchte sie.
»Ja, ich weiß, dass Liams Frau Geld hat. Ich weiß aber immer noch nicht, was das mit mir zu tun haben soll!«
»Manche Leute würden sagen, dass Dr. Caswell Glück gehabt hat. Als er noch ein armer junger Wissenschaftler war, hat er eine reiche junge Frau geheiratet. Einige Jahre später, genau zu einem Zeitpunkt, an dem vermutlich der größte Teil dieses anfänglichen Vermögens ausgegeben war, erbt sie von einer Tante ein zweites Mal.« Die grünen Augen wurden zu schmalen Schlitzen.
»Das geht mich nichts an. Warum erzählen Sie mir diese Dinge überhaupt?«
»Weil ich denke, dass es Ihnen im Gegenteil sehr wichtig ist, Marita.« Sie starrte ihn an, und dann, ohne Vorwarnung, fing sie an zu lächeln.
»Jetzt verstehe ich, worauf Sie hinauswollen! Aber Sie irren sich. Ich respektiere Dr. Caswell. Er ist ein berühmter Wissenschaftler auf seinem
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