Ein Hauch Von Sterblichkeit
die Kissen aus. Es tat gut, sie zu klopfen. So viel zum Bett. Wenn sich nur jedes Problem auf die gleiche einfache Art und Weise lösen ließe, durch Anwendung roher Gewalt! Sie konnte verstehen, dass Menschen, die in die Enge getrieben wurden, häufig Gewalt als letzten Ausweg sahen. Patsch, patsch, patsch! Sie hielt inne, übermannt von Schuldgefühlen. Es war keine Rechtfertigung für jene, die diese Briefbombe geschickt hatten. Sie besaßen keine Entschuldigung für das, was sie getan hatten. Es war hässliche Gewalt, wie sie im wirklichen Leben herrschte, und keine harmlose Fantasie. Genau wie das wirkliche Leben ein einfaches Frotteebadetuch war und kein durchscheinendes Seidennegligé. Die Anstrengung hatte sie ins Schwitzen gebracht, und als sie in den ovalen Spiegel der Frisierkommode blickte, besaß ihr Gesicht ein gesundes Leuchten. Sie tupfte sich Puder auf die Nase, damit sie nicht glänzte, und trug Lippenstift auf. Sie presste die Lippen zusammen, studierte das Resultat und kam zu dem Schluss, dass es zwar eine Verbesserung war, doch längst noch nicht ideal. Ihre Hand ging zu einer der winzigen Schubladen, in denen sie die jüngsten Impulskäufe an Mascara und Augenbrauenstift aufbewahrte.
»Für wen mache ich das eigentlich?«, fragte sie sich.
»Für Austin?« Wenn ja, dann war es falsch. Sie zog die Hand zurück, doch sie blieb vor der Frisierkommode sitzen und starrte die Reihe winziger Schubladen an. Unwillig, wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, streckte sie erneut die Finger aus, doch diesmal nach einer Lade ganz links, in der Liam eine Anzahl kleiner Dinge aufbewahrte. Es war seine persönliche Schublade, doch sie wusste, was darin lag. Sie hatte ihm nichts von ihrer Entdeckung erzählt. Er würde aufbrausen und wissen wollen, warum sie in seinen Sachen wühlte. Sie hatte es zufällig entdeckt, vor ungefähr einem Monat, als sie eine neue Bluse mit Manschetten gekauft und gedacht hatte, Manschettenknöpfe würden sich gut daran machen. Liam trug so etwas normalerweise nicht, außer bei formellen Anlässen, zu diesem Zwecke besaß er zwei oder drei Paar Manschettenknöpfe. Sally hatte nach ihnen gesucht, in dem kleinen Lederetui, in dem Liam sie normalerweise aufbewahrte, als sie zufällig die Krawattennadel entdeckt hatte. Jetzt öffnete Sally die Schublade und holte das Etui hervor. Die Krawattennadel war noch immer da. Sie entfaltete das Stück Stoff, in das die Nadel eingeschlagen war, und dort lag sie, immer noch an das Plüschkissen geheftet. Sie war golden, keine Frage, aber sie war zugleich ein hässliches Ding, das aussah wie eine Schlange mit einem Rubin als Auge. Sally fuhr mit der Fingerspitze über die geschlängelte Form und gestattete sich das Vergnügen, das Schmuckstück zu bemäkeln.
»Protzig«, das war das richtige Wort. Auffällig. Grell. Sie zog außerdem eine gewisse Befriedigung aus der Tatsache, dass sie davon wusste, während Liam glaubte, sie hätte keine Ahnung. Sie legte die Nadel mitsamt Etui wieder an ihren Platz zurück. Dann beeilte sie sich, die Treppe hinunterzukommen, nahm im Vorbeigehen ihre Jacke vom Haken in der Diele und steckte den Kopf ins Arbeitszimmer, während sie in die Jackenärmel schlüpfte.
»Ich bin gegen vier Uhr wieder zurück«, versprach sie. Liam saß mit dem Rücken zu ihr an seinem Computer.
»Ja, in Ordnung. Bis dann«, murmelte er, ohne sich umzuwenden oder aufzublicken. Stattdessen tippte er ohne die geringste Unterbrechung weiter. Sie wollte ihm sagen, dass er wenigstens die Höflichkeit aufbringen könnte, sich zu ihr umzudrehen und sie anzusehen. Sie trat sogar einen Schritt vor und streckte ihre Hand nach ihm aus, bevor sie dachte: Was mache ich da eigentlich? Soll ich etwa die Tastatur zu Boden werfen? Den Bildschirm einschlagen? Derartige Ausbrüche lagen nicht in ihrer Natur. Kraftlos ließ sie die Hand wieder sinken. Sie schluckte ihre Wut hinunter, verbannte sie ins Unterbewusstsein wie ein wildes Tier, das ausgebrochen und wieder eingefangen und in seinen Käfig zurückgebracht werden musste. Liam hatte ihre Bewegung nicht wahrgenommen, sosehr war er in seine Arbeit vertieft. Sie murmelte:
»Bis dann!« und hastete nach draußen. Dave Pearces Beförderung zum Inspector lastete schwer auf seinen Schultern (die an diesem Tag in einer brandneuen Jacke steckten). Seit er zur Polizei gegangen war, hatte es ihm nie an Ehrgeiz gefehlt. Zuerst zur Kriminalpolizei, und dann von dort aus eine Stufe nach der anderen nach
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