Ein Haus für vier Schwestern
In der Bar war es dunkel. Leute hielten sich im Dunkeln irgendwo fest. Ganz normal. Natürlich.
Sie ging los. Sie würde das schaffen. Sie musste. Christina sollte nichts merken. Sie durfte das nicht erfahren.
Sie schaffte es mit ein oder zwei Wacklern. Dabei kaschierte sie ihre Fehltritte mit der angelegentlichen Betrachtung der staubigen Hirsch- und Elchköpfe an den Wänden.
In der Toilette stolperte sie Richtung Waschbecken und sah in den Spiegel.
»Hilfe«, murmelte sie angesichts der Fremden, die ihr daraus entgegensah. »Hilfe, Hilfe, Hilfe.«
»Mach was«, forderte die Fremde. »Christina darf nichts merken.«
Sie befeuchtete Papiertaschentücher mit kaltem Wasser und legte sie sich aufs Gesicht. Dann klatschte sie mit den Händen auf ihre Wangen. Es half nichts. Hilfe! Ihr ging es nicht besser, sondern nur noch schlechter. Der Raum begann sich zu drehen.
Wie konnte das nur passieren? Sie schloss die Augen. Ganz schlechte Idee. Mehr Wasser, weitere Ohrfeigen, immer noch betrunken.
Sie musste wieder in die Bar, sonst würde Christina sie suchen. Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel. Ihr Haar war nass und sah entsetzlich aus. Also suchte sie in ihrer Handtasche nach einem Kamm. Aber sie hatte alles herausgenommen, damit das Pfefferspray hineinpasste. Zum Teufel mit der Frisur.
Christina saß nicht an ihrem Tisch. Sie stand an der Bar und sprach mit einem Kerl mit dunklem, schulterlangem Haar. Neben ihm stand ein hübsches Mädchen.
Christina hielt einen Umschlag in der Hand. Die einstweilige Verfügung. Was zum Donner …?
Doch dann wurde ihr alles klar. Der Freund hatte gelogen. Randy war noch hier. Christina wollte ihm den Umschlag geben. Misstrauisch blickte er auf ihre ausgestreckte Hand. Ihm musste klar geworden sein, was sie zu tun versuchten, denn er schrak zurück und warf die Hände in die Höhe. Sein Gesicht verzog sich verärgert, er sagte etwas zu Christina und wollte sich Richtung Tür davonmachen. Sie ging ihm nach und klatschte ihm mit dem Umschlag gegen die Brust. Er packte ihr Handgelenk und verdrehte ihr den Arm. Sie versuchte, ihn zu treten, verfehlte ihr Ziel, versuchte es noch einmal und erwischte ihn am Schienbein.
Der Beschützerinstinkt wallte in Elizabeth auf.
»Lass sie los, du Mistkerl«, brüllte sie. Sie holte das Pfefferspray aus ihrer Handtasche und sprang quer durch die Bar. Aus ihrem Augenwinkel sah sie, wie der Mann an der Bar, der mit ihnen geflirtet hatte, sich von seinem Stuhl erhob.
Randy hatte einen Freund dabei, und der wollte sie aufhalten. Sie musste zu Christina.
Elizabeth richtete die Spraydose auf das Gesicht des Mannes. Irgendwie schafften es Sams Instruktionen durch den Cocktailnebel, und sie feuerte eine Ladung ab. Doch leider in die falsche Richtung. Die Frau neben ihr schrie auf und stürzte zu Boden. Elizabeth ignorierte sie und drückte noch einmal ab, aber nichts passierte. Ihr fiel nichts Besseres ein, als dem Mann die Dose auf den Kopf zu schlagen. Fest. Er fluchte, berührte die Wunde mit der Hand und starrte sie an.
»Was zum Teufel …?«, stöhnte er.
Blut rann ihm über eine Gesichtshälfte. Eine nüchterne Hirnzelle versicherte Elizabeth, dass es nicht schlimm wäre. Jede Mutter von zwei Söhnen wusste, dass auch kleine Kopfwunden fürchterlich bluten konnten.
Ohne Vorwarnung traf sie etwas von hinten in die Kniekehle und sie stürzte zu Boden. Den Mann sah auf sie herunter. Blut tropfte auf ihre Bluse. Auf seinem Gesicht rangen Betroffenheit, Wut und ein drittes, nicht genau zu benennendes Gefühl um die Vorherrschaft.
»Verschwinde«, schrie sie. Zumindest kam ihr das so vor.
Sie hatte immer noch das Pfefferspray in der Hand, hielt es hoch und zielte auf ihn. Dieses Mal war sie erfolgreich.
Er heulte auf und packte sie am Arm. »Herrgott, Frau, du bist ja komplett verrückt.«
»Elizabeth?« Christina schubste den Mann zur Seite. »Was ist passiert? Bist du okay? Was ist los?«
»Dieser Mann«, sagte Elizabeth und deutete auf den Typen, der sich verzweifelt die Augen rieb und dabei das Blut über sein gesamtes Gesicht verteilte. »Dieser Mann …«
Ihre intakte Hirnzelle meldete sich wieder. Alarm! Sie musste sich übergeben. Sie versuchte aufzustehen, kam aber nur bis auf die Knie.
Die Geräusche, die sie machte, waren schrecklich. Alle in ihrer Umgebung wandten sich angeekelt ab. O Gott, sie würde nie wieder Erdnüsse essen! Und sie würde nie wieder einen Tropfen Alkohol anrühren. Niemals. Nicht einmal auf der
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