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Ein Haus für vier Schwestern

Ein Haus für vier Schwestern

Titel: Ein Haus für vier Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgia Bockoven
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hatte – Frank, wie er sich umgedreht und ihr zugewinkt hatte, bevor er den Bus nach Fort Ord bestieg.
    »Vergiss mich nicht«, hatte er gesagt. Das waren die letzten Worte gewesen, die sie von ihm gehört hatte.
    Sie hielt den Orden in ihrer Hand und betrachtete ihn mit verschleiertem Blick. Sie konnte die Liebe, das Bedauern und die Sehnsucht spüren, mit der Jessies Daumen über das Metall gestrichen hatte. Er musste ihn immer bei sich gehabt haben. Als Erinnerung an das, was er verloren hatte.
    Frank würde immer ihr großer Bruder bleiben, klug und liebevoll. Sie hatte zu ihm aufgesehen. Wenn sie jetzt auf das hinunterblickte, was von ihm geblieben war, sah sie in einem kurzen Aufblitzen, was er wirklich gewesen war – ein Junge, der nicht zum Mann werden durfte.
    Er starb mit siebzehn. Da war er vier Jahre jünger gewesen, als Stephanie heute war. Er hatte Angst gehabt, als er den Bus bestieg. Und sie war noch nicht alt genug gewesen, um zu verstehen, warum. Wenn sie nun zurückblickte, brach es ihr das Herz, wenn sie sich an die Einsamkeit und die Angst in seinen Augen erinnerte. Sie umarmte das Kind, das er gewesen war, mit den Armen einer Mutter, die sie geworden war.
    Schmerzerfüllt wurde ihr klar, dass er nie das Mädchen seiner Träume getroffen hatte, nie fühlen durfte, wie sich eine Kinderhand in der eigenen anfühlt, nie die Bewunderung seiner Nichte und seiner Neffen genießen konnte.
    »Woher hast du das?«, fragte sie Christina.
    »Es stand in Jessies Arbeitszimmer auf dem Regal.«
    »Hast du sonst noch was gefunden?«
    »Ich habe seine persönlichen Sachen nicht angerührt. Ich dachte, die sollten wir lieber zusammen durchsehen.«
    »Hast du ein Foto von Frank?«, fragte Ginger.
    »Nicht dabei.« Die Vorstellung, dass Frank auch der Bruder dieser drei Frauen war, kam ihr komisch vor. »Ich bringe es beim nächsten Mal mit.« Sie lächelte. »Er sah Jessie ähnlich. Vielleicht mochte ihn meine Mutter deshalb nicht.«
    Rachel streckte die Hand aus. »Darf ich?«
    Elizabeth gab ihr den Orden.
    »Wie traurig«, sagte Rachel leise. »Man kann Jessies Schmerz richtig spüren.«
    »Wie war deine Mutter zur dir?«, fragte Ginger Elizabeth.
    »Nach Franks Tod hat sie mich mit ihrer Fürsorge fast erstickt. Ich konnte nichts mehr ohne sie machen.«
    »Was war mit Jessie?«
    »Ich habe ihn nicht wiedergesehen.«
    »Niemals?«, fragte Christina.
    »Kein einziges Mal. Meine Mutter wollte mich nicht bei der Beerdigung dabei haben. Sie meinte, es sei wichtiger für mich, das Schuljahr in Texas zu beenden. Sie würde mich danach besuchen. Als wir dann nach Kalifornien zurückkehrten, wollte ich meinen Vater treffen. Sie erklärte mir, er wäre Alkoholiker geworden und wollte mit uns beiden nichts mehr zu schaffen haben.«
    »Hast du versucht, Kontakt aufzunehmen?«, wollte Rachel wissen.
    »Die einzige Telefonnummer, die ich hatte, war nicht mehr gültig. Ich habe dann geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten.«
    »Deine Mutter hat die Briefe zur Post gebracht?«, fragte Rachel.
    Die hässliche Wahrheit, die jahrelang im Verborgenen gelegen hatte, kam allmählich ans Tageslicht. »Meinst du, sie hat sie nicht abgeschickt? Aber warum denn?«
    »Ich meine gar nichts. Es kommt mir nur komisch vor, dass Jessie einfach aus deinem Leben verschwunden sein soll, obwohl er dich offensichtlich geliebt hat. Vielleicht hat er ja wirklich getrunken, aber das kann nicht lange gedauert haben. Wir wissen, dass er Christinas Mutter getroffen hat. Wir wissen, dass er diesen Erdbeerhandel aufmachte und wieder pleiteging. Und wir wissen, dass er hier in Sacramento etwas anfing, das ihn zu einem reichen Mann gemacht hat. Da stimmt irgendetwas nicht an der Geschichte.«
    »Was denn?« Die Vorstellung, dass Jessie all die Jahre versucht haben könnte, sie zu finden, drückte Elizabeth nieder.
    Anstatt eine Antwort zu geben, stellte Rachel ihr eine Frage. »Lebt deine Mutter noch?«
    »Ja.«
    »Ich fürchte, dann musst du mal mit ihr sprechen.«
    Es gab verschieden Dinge, über die Denise Reed nie sprechen würde. Ihre Beziehung zu Jessie Reed gehörte dazu.
    Würde es einen Unterschied machen, wenn sie die Wahrheit kannte? Dann wäre es das Kräftemessen mit ihrer Mutter wert. Und wenn nicht?
    Nichts konnte Frank wieder lebendig machen. Und nichts konnte ihr die verlorene Zeit mit ihrem Vater ersetzen.

46
    Elizabeth
    Auf dem Weg zu ihrer Mutter kam Elizabeth an dem Haus vorbei, in dem sie als Kind gelebt hatte. Die neuen

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