Ein Haus für vier Schwestern
sprechen.«
»Das habe ich mir gedacht.« Denise nahm Elizabeths Handtasche weg und setzte sich in den Schaukelstuhl. »Ich habe dir schon gesagt, dass ich nichts von dem Geld will, das er dir hinterlassen hat. Es ist deins. Ich komme gut ohne das zurecht.«
»Es geht nicht um das Geld.« Elizabeth atmete tief ein. Ihre Verärgerung war der Neugier gewichen. Aber ihrer Mutter die Wahrheit zu sagen, erwies sich als ziemlich schwierig.
»Ich habe dir vorher nichts davon erzählt, weil ich dich nicht aufregen wollte. Jessie hat uns mündliche Aufzeichnungen hinterlassen. Seit ein paar Monaten höre ich sie mir mit meinen Schwestern zusammen an.«
Denise fing an zu schaukeln, stieß sich dabei mit den Zehen vom Boden ab. »Jetzt sind es auf einmal deine Schwestern«, schnaubte sie. Sekunden später: »Was für Aufzeichnungen?«
»Über sein Leben. Er erzählt, wie er seine Familie in Oklahoma verlassen hat, um in Texas auf den Ölfeldern zu arbeiten. Und er spricht viel von dir. Wie ihr euch kennengelernt habt.«
»War das alles?«
Elizabeth schüttelte den Kopf. »Er erzählt davon, wie ihr nach Kalifornien gekommen seid und wie es war, als Frank und ich geboren wurden.«
Ihre Mutter schaukelte schneller.
»Und davon, was geschehen ist, als Frank starb.«
Denise griff nach ihrem Kaffeebecher, nahm einen Schluck und blickte Elizabeth über den Rand der Tasse hinweg an. »Glaubst du ihm?«
War ihrer Mutter nicht klar, dass sie sich durch diese Frage verriet?
»Wie kommst du darauf, dass sich seine Version von deiner unterscheidet?«
Schnapp! Sie saß in der Falle. Denise’ Blicke irrlichterten durch das Zimmer, als ob die Antwort sich dort irgendwo verbergen würde. »Du weißt genauso gut wie ich, dass Jessie seine eigene Sicht der Dinge hatte.«
»Das hat nichts mit seiner Sichtweise zu tun. Was er erzählt hat, war schlicht und ergreifend falsch. Du hast ihn angelogen, warum Frank zur Armee gegangen ist.«
Es folgte ein langes Schweigen. Dann hob Denise den Blick und sah Elizabeth an. Tränen standen in ihren Augen.
»Ich konnte nicht anders. Ich hatte Angst davor, was Jessie tun würde, wenn er die Wahrheit erfuhr. Du hast deinen Vater nie so erlebt. Er hat aufgepasst, dass ihr ihn nie so gesehen habt.«
»Willst du damit etwa sagen, dass du Angst hattest, er würde dir etwas antun? Dich schlagen?«
Sie hatte Hunderte von Streitigkeiten zwischen ihren Eltern mitangehört. Nie hatte ihr Vater die Hand gegenüber ihrer Mutter oder einem anderen erhoben. Die einzigen Schläge hatten sie und Frank von ihrer Mutter bekommen. Sie hatte ihren Vater wütend erlebt, besonders in der Nacht, in der Frank sich mit seiner Freundin traf und die Scheune in Brand steckte. Aber selbst damals hatte Jessie nicht die Kontrolle verloren.
»Du begreifst nicht, was Frank deinem Vater bedeutet hat.« Denise faltete die Hände und fing wieder an zu schaukeln. »Die beiden waren aus demselben Holz geschnitzt. Jedes Mal, wenn ich Frank ansah, hatte ich Jessie vor Augen.« Sie schaukelte heftiger. »Nachdem dein Vater uns verlassen hatte, musste ich jeden Abend Frank ansehen, der mir am Küchentisch gegenübersaß.«
Elizabeth konnte nicht glauben, was sie da gehört hatte. »Du hast Frank gehasst, weil er wie Daddy aussah?«
»Er sah nicht nur aus wie er, er verhielt sich auch so. Er dachte so wie er. Und er hielt immer zu Jessie. Ich war ihm egal.« Sie hielt inne und starrte Elizabeth an. »Du warst dabei. Du weißt, wie es gewesen ist. Du musst dich doch daran erinnern, wie sich Frank mir widersetzte.«
»Er dachte, du würdest ihn hassen.«
»Er hasste mich. Genauso wie Jessie. Weißt du, wie schwer es ist, jemanden zu lieben, der dich hasst? Gott weiß, dass ich alles versucht habe. Er war doch mein Sohn. Ich konnte ihn nicht einfach aufgeben. Nicht, nachdem ich gesehen hatte, was aus dir wurde, als dein Vater uns verlassen hatte. Wie er dir das Herz gebrochen hatte.«
»Jessie sagt, du hättest die Scheidung gewollt.«
Denise duckte sich weg, als ob Elizabeth etwas nach ihr geworfen hätte. Ihr Mund öffnete und schloss sich sofort wieder.
»Er sagt, du hättest zu ihm gesagt, es gäbe einen anderen.«
Elizabeth hatte in den Tiefen ihrer Erinnerung nach Anzeichen für einen anderen Mann gesucht, aber nichts gefunden. Wenn sie jemanden getroffen hatte, dann heimlich.
»Ich war völlig verzweifelt«, stotterte Denise. »Ich dachte, wenn ich Jessie von dem anderen erzählen würde, hätte er wieder mehr Interesse
Weitere Kostenlose Bücher