Ein Haus für vier Schwestern
Eigentümer hatte die Veranda entfernt und das Wohnzimmer vergrößert. Die Holzverkleidung war verschwunden und durch Putz und Ziegel ersetzt worden. Doch die große Eiche vor dem Haus war geblieben.
Frank war im Sommer immer dort hinaufgeklettert und hatte sich auf einem Ast ausgestreckt. Über den Köpfen der Leute blieb er ihren Blicken verborgen, die sich nie über den Horizont hoben. Ab und zu durfte sie mit, blieb aber nie lange dort oben – stillzusitzen war schon schwierig gewesen, nicht zu sprechen unmöglich.
Bis vor zwei Jahren hatte ihre Mutter in dem weitläufigen zweistöckigen Haus gelebt. Dann waren die Treppen wegen der schlechten Augen und der eingeschränkten Hörfähigkeit zu gefährlich geworden. Nun wohnte sie in einem hellen Drei-Zimmer-Häuschen von der Stange auf der anderen Seite von Bakersfield. Es gehörte zu einer Seniorenanlage, die auch einen Golfplatz, ein Einkaufszentrum und ein Veranstaltungszentrum umfasste.
Es gab dort genügend Angebote und Kurse aller Art, um auch den anspruchsvollsten Bewohner zufriedenzustellen. Geselligkeit inklusive, hatte es in den Verkaufsprospekten geheißen. Keiner musste herumsitzen und darauf warten, bis die Kinder oder Enkel anriefen. Im Gegenteil, es kam häufig vor, dass keiner den Hörer abnahm, weil niemand zu Hause war.
Elizabeth bog in die Einfahrt des Hauses ein. Es war in einem pseudo-spanischen Stil erbaut, verputzt und im vorgeschriebenen Beige gestrichen. Garten und Gartenzaun entsprachen ebenfalls den Vorschriften. Sie klingelte. Sekunden später hörte sie ihre Mutter über die Terrakottafliesen schlurfen.
»Du bist zu spät.«
Elizabeth küsste sie auf die Wange und drückte ihr die Margerite im Topf in die Hand, die sie auf dem Weg hierher erstanden hatte. Sie war in grelloranges Zellophan gewickelt und mit einer schwarzen Schleife verziert, in der ein Gespenst und eine Hexe steckten. »Happy Halloween.«
Denise betrachtete die Pflanze misstrauisch. »Wir brauchen hier keine Halloween-Dekoration. Es gibt ja keine Kinder. Ich wundere mich, dass du da nicht selbst draufgekommen bist.«
»Es ist eine Blume, Mom, kein Kürbis. Du kannst die Dekoration entfernen, wenn sie dich stört.«
»Jetzt sei nicht gleich beleidigt. Ich wollte dir das nur sagen, falls eins von den Kindern irgendetwas in der Richtung vorhat.« Sie ging ins Wohnzimmer und stellte die Blume auf einen Beistelltisch. »Da sehe ich sie, wenn ich in der Küche bin.«
Elizabeth folgte ihr und legte ihre Handtasche auf den Schaukelstuhl gegenüber vom Kamin. So sehr sie das alte Haus vermisste, musste sie doch zugeben, dass der Umzug gut für ihre Mutter gewesen war. Sie hatte sich nicht nur von ihrer Kunstfaserkleidung getrennt und gelernt, mit dem Computer umzugehen, und sie hatte begonnen zu reisen.
Die karierten Caprihosen und das passende kurzärmelige Oberteil waren zwar nicht überwältigend schick, aber hübscher als alles andere, was sie in den letzten zwanzig Jahren getragen hatte. Auch ihre Frisur hatte sich geändert. Nachdem sie jahrelang ihr glattes Haar in einem Knoten hochgesteckt hatte, trug sie nun einen Kurzhaarschnitt mit Dauerwelle. Die weichen Locken umrahmten ihr kantiges Gesicht. Sie sah um Jahre jünger und nur noch halb so furchteinflößend aus wie früher.
Elizabeth gestand ihrer Mutter ein paar Pluspunkte zu; das war etwas Neues in ihrer Beziehung und ganz nett.
»Das Haus sieht hübsch aus. Und mir gefällt das Sofa. Wann hast du das gekauft?«
»Hab ich gar nicht. Das ist letzte Woche in Bettys Einfahrt gestanden. Also bin ich rüber und habe sie gefragt, was das soll. Ihre Kinder wollten es zum Sperrmüll bringen.« Sie grinste. »Ich habe sie gebeten, es zu mir zu schaffen und mein altes Sofa stattdessen zu entsorgen.«
»Betty richtet sich neu ein?«
»Sie ist gestorben. Vor zwei Wochen. Im Bett, hat sich reingelegt und ist nicht wieder aufgestanden. Kaffee?«
»Äh, ja.« Die Qualität des Kaffees bei ihrer Mutter hing immer davon ab, ob sie die gemahlenen Bohnen zum ersten oder zum zweiten Mal aufbrühte. Zehn Uhr vormittags sprach leider für die recycelte Version. »Hast du zufällig Sahne da?«
»Der ist frisch gemacht, du brauchst nichts reinzutun.« Sie drückte Elizabeth einen Becher in die Hand und schenkte sich selbst nach. »Du kannst dich hinsetzen und mir sagen, warum du gekommen bist. Es hat keinen Zweck, das hinauszuzögern.«
Elizabeth machte es sich auf dem Sofa bequem. »Ich will mit dir über meinen Vater
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