Ein Haus für vier Schwestern
einladend.
»Ich bin so froh, dass Sie es doch noch geschafft haben, Ms Nolan.«
Rachel schob den Riemen ihrer Handtasche nach oben, bevor sie Lucys Hand ergriff. »Und Sie sind …?«
»Lucy Hargreaves. Die Anwältin Ihres Vaters.«
»Ist er da?«
»Er wartet im Besprechungszimmer auf Sie.« Sie hielt inne, aber ihr war klar, dass sie den Moment der Wahrheit nicht länger hinauszögern konnte. »Ihre Schwestern warten bereits.«
»Ich habe keine …« Ihre Gesichtszüge gerieten etwas in Unordnung. »Damit hätte ich wahrscheinlich rechnen sollen.« Sie atmete tief durch. »Sie sagten Schwestern – wie viele sind es denn?«
»Ihr Vater hat vier Töchter.«
»Vier, von denen er weiß, wie ich annehme?«
Die feindselige Reaktion war enttäuschend, kam aber nicht unerwartet. »Wenn Sie mir bitte folgen. Ich stelle Sie zuerst einander vor und bringe Sie dann alle zusammen zu ihrem Vater.«
»Ein gemeinsames Treffen?«
»Wenn Sie ihn lieber allein sprechen möchten, kann ich das veranlassen.«
»Nein, es ist egal. Ich will nur, dass es schnell vorbei ist.«
8
Elizabeth
Elizabeth sah die beiden Frauen an, die gerade die Wartezone betraten. Sie legte ihren Finger auf den Absatz des Architectural Digest, den sie gerade las, und sah auf. In dem Artikel ging es um Farben, die ein kleines Zimmer größer aussehen lassen konnten. Die beiden sahen sich ähnlich, gehörten zu dem Typ Frau, der mit Elizabeth nichts gemeinsam hatte: karriereorientiert, selbstsicher, unabhängig. Solche Frauen konnten Leinenkleider tragen, ohne auszusehen, als hätten sie darin geschlafen.
Sie klappte die Zeitschrift zusammen und legt sie zur Seite. Ihre Hände waren feucht, ihr Mund trocken. Zum ersten Mal tat es ihr leid, dass sie Sam nicht erlaubt hatte, sie zu begleiten. Sie wollte die Sache trotzdem allein hinter sich bringen. Jessie hätte Sam bereits auf ihrer Hochzeit kennenlernen können, hatte das aber offensichtlich nicht gewollt. Das war das letzte Mal gewesen, dass sie ihren Vater um etwas gebeten hatte.
Die ältere der Frauen stellte sich vor. »Guten Tag. Ich bin Lucy Hargreaves, die Anwältin Ihres Vaters.« Sie deutete auf die Frau in ihrer Begleitung. »Das ist Rachel Nolan, Ihre Schwester.«
Überzeugt davon, sich verhört zu haben, starrte Elizabeth zuerst Lucy und dann Rachel an. Sie beäugte die beiden anderen Frauen. Sie gafften Rachel ebenfalls an, offensichtlich genauso verwundert wie Elizabeth.
Rachel studierte Ginger für ein paar Augenblicke. »Wie alt bist du – so um die sechsunddreißig?«
Ginger zuckte zusammen. »Was tut mein Alter denn zur Sache?«
Rachel lachte auf. »Ich bin jedenfalls sechsunddreißig. Was sagt dir das über deinen Vater?«
Christina sah von einer zur anderen, nahm ihr schwarzes Haar nach vorn und zwirbelte nervös eine Strähne zwischen den Fingern. »Das wird ja immer besser.«
Elizabeth wurde auf einmal von Erinnerungen überflutet. Sie war zwölf gewesen und hatte Gott gebeten, ihren Vater zu finden und zu ihr nach Hause zu schicken. Er war in ihren Augen der einzige Mensch gewesen, der ihre Mutter vom Weinen und von den Sorgen um die nächste Mahlzeit befreien konnte. Der Einzige, der ihr klarmachen konnte, dass Friedhofsbesuche ihr den toten Sohn nicht zurückbringen würden. Nun, da sie wusste, wo Jessie war und was er getan hatte, stand der Vulkan, der dreißig Jahre unter der Oberfläche gebrodelt hatte, kurz vor dem Ausbruch. All ihre Illusionen waren dahin, und sie fühlte sich krank bei dem Gedanken, ihm gegenübertreten zu müssen.
»Okay. Was für ein Mann ist mein Vater eigentlich?« Christinas gespielte Tapferkeit brach zusammen. Ihre Stimme klang enttäuscht.
Bevor jemand antworten konnte, trat Lucy nach vorn. »Sie können sich diese Frage gleich selbst beantworten. Ihr Vater erwartet Sie im Besprechungszimmer. Wenn Sie mir bitte folgen würden. Ich bringe Sie zu ihm.«
Elizabeth blieb zurück, während die anderen der Anwältin folgten. Sie war in dem Glauben gekommen, dass sie die Oberhand behalten würde und ihr Vater nicht mehr die Macht hätte, sie zu verletzen. Meine Güte, was war sie bloß für eine Idiotin gewesen.
Sam hatte recht gehabt. Sie hätte nicht herkommen sollen. Die sorgsam vorbereitete Rede war für die Katz’. Sie würde sich nie von Jessie befreien.
Elizabeth verließ die Wartezone und ging in Richtung Ausgang, anstatt den anderen zu folgen. Lucy erwischte sie vor den Aufzügen. »Bitte, bleiben Sie.«
In der Zwischenzeit
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