Ein Haus für vier Schwestern
denen erwartet werden würde, dass sie erschienen und sich zumindest vernünftig benahmen. Die bewältigten Aufgaben würde sie sich dann an die Brust heften können wie ein verdienter Soldat seine Orden.
Rachel griff nach dem Telefonhörer und wählte Jeffs Nummer. »Ich muss dich treffen«, sagte sie, nachdem er sich gemeldet hatte.
»Sofort?«
»Heute Abend. Kannst du Mary Bescheid sagen, dass sie auf die Kinder aufpasst, und zu mir ins Apartment kommen?« Mary war ihre Nachbarin. Sie und Jeff halfen sich in Notfällen gegenseitig mit Babysitten aus.
»Wann?«
Sie sah auf ihren Terminkalender. Nach fünf wurde sie hier nicht mehr gebraucht. »Um sieben.«
Das würde ihr genug Zeit lassen, ein bisschen aufzuräumen und vielleicht sogar Staub zu wischen. Ihr ganzes bisheriges Leben hatte sie gedacht, dass sie zwanghaft reinlich wäre. Das Singledasein hatte ihr jedoch klargemacht, dass sie eher wegen des Eindrucks putzte, den sie auf andere machte. Mittlerweile war sie ziemlich besorgt, was sich im Lauf der Zeit noch alles herausstellen würde.
»Ich werde kommen.«
»Danke.« Sie legte ohne ein Wort des Abschieds auf. Unerklärlicherweise war sie verärgert darüber, dass er nicht nach dem Anlass des Treffens gefragt hatte. Sie hatte nie seine Fähigkeit begriffen, sich einfach dem Augenblick zu überlassen. Sie musste immer alles sofort hinterfragen.
Der Fahrer setzte Rachel um halb sieben vor ihrem Apartment ab. Ein Unfall im Caldecott-Tunnel hatte sie länger als eine Stunde aufgehalten. Jetzt konnte sie sich nur noch aussuchen, ob sie lieber sich oder die Wohnung einer Reinigung unterzog. Sie ging hinein, schlüpfte aus den Schuhen und nahm sie mit ins Schlafzimmer. In sechs Monaten konnte sie sich eine Haushälterin leisten – zum Teufel, mit zehn Millionen konnte sie sich alles leisten.
Sie sollte eigentlich glücklich sein. Oder zumindest erleichtert. Sie mussten das Haus nicht verkaufen und die Kinder beunruhigen oder sich Sorgen darüber machen, wie sich der Verkauf auf sie auswirken würde. Sie könnte sich ein eigenes Haus kaufen, irgendwo in der Nähe. Es wäre dann fast so, als ob …
Rachel setzte sich auf die Bettkante und legte sich die Hände übers Gesicht. Innerhalb von Sekunden schluchzte sie. Auf keinen Fall würde sie in der Nähe von Jeff wohnen. Es würde ihr das Herz zerreißen, wenn es ihm wieder besser ging und er weiter sein Leben lebte. Ohne sie. Sie brauchte Abstand, vielleicht tausend Meilen. Aber sie konnte John und Cassidy nicht verlassen. Und genauso wenig konnte sie erwarten, dass er fortzog.
Es klingelte an der Tür. Sie wischte sich mit den Händen übers Gesicht und kniff sich in die Wangen, damit sie Farbe bekamen. Das hatte ihre Mutter immer gemacht, wenn sie jemanden davon überzeugen wollte, dass sie am helllichten Tag weder getrunken, noch geheult, noch geschlafen hatte. Anna Kaplan war eine Meisterin der Verschleierung gewesen und Rachel ihre unfreiwillige Schülerin.
Aber Jeff hatte sie noch nie täuschen können. Er sah, dass etwas nicht stimmte, sobald sie die Tür öffnete.
»Du bist zu früh dran«, sagte sie, bevor er ihr eine Frage stellen konnte.
»Ich hatte einen Termin bei Johns neuem Lehrer, und wir waren früher fertig, als ich gedacht habe. Soll ich gehen und später noch mal kommen?«
»Was ist denn mit seiner früheren Lehrerin passiert?«
»Sie hat ein Baby bekommen.«
Unerklärlicherweise brach Rachel wieder in Tränen aus. »Ich wusste gar nicht, dass sie schwanger gewesen ist.«
Es hatte zu Jeffs elterlichen Pflichten gehört, sich um die alltäglichen Schulsorgen der Kinder zu kümmern. Er hatte Rachel nur das erzählt, was sie seiner Meinung nach wissen wollte oder musste, und den Rest allein erledigt.
Genauso selbstverständlich wie in den vergangenen vierzehn Jahren legte Jeff jetzt die Arme um sie. Sie wusste sofort, dass das ein Fehler war. Doch statt sich ihm zu widersetzen, kuschelte sie sich an ihn und legte ihren Kopf an seine Brust. Sie lauschte seinem Herzschlag.
»Sagst du mir bitte, was passiert ist?«, fragte er dann.
Sie wollte sich aus seiner Umarmung befreien, doch das ließ er nicht zu.
»Es ist okay, Rachel. Was auch immer es ist, du kannst es mir sagen. Ich werde nur zuhören.« Er sah auf sie hinab und lächelte aufmunternd. »Keine unerbetenen Ratschläge und kein Tamtam.«
Sie versteifte sich. »Es ist nicht, was du denkst.«
Nach ein paar Augenblicken zuckte er mit den Schultern und ließ sie los. Die
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