Ein Haus geteilt durch 8
kommen.«
Herr Holldorf warf einen Blick auf seine Armbanduhr, obwohl der Wecker vor seinen Augen stand. Es war kurz vor halb fünf. Irgendwo begann jetzt Mr. Jack Macpherson die Koffer aus dem Abteil auf den Gang zu tragen und seiner Frau in den Mantel zu helfen...
»Schöne Bescherung für die Tochter«, murmelte Holldorf.
»Tod kennt keine Rücksicht«, sagte Herr von Krappf, der es zu wissen schien. »Werde Ihnen bis zum Eintreffen des Arztes Gesellschaft leisten. Ist besser so.«
»Danke, Herr Oberst«, sagte Holldorf erleichtert. »Nicht etwa, daß ich mich vor der alten Frau fürchte, lieber Gott, nein, man war schließlich fünf Jahre lang draußen...«
»Infanterist?«
»Nein, Pionier.«
»Ausgezeichnete Truppe, immer vorn.«
»... aber es ist doch eine fremde Wohnung. Allein hätte ich mich nicht getraut, sie aufzumachen.«
Es dauerte fast eine Viertelstunde, ehe Frau Holldorf mit dem Arzt erschien. Die Witwe Düsenengel hätte es sich nicht träumen lassen, daß ein Oberst der Infanterie und ein Unteroffizier der Pioniere eine halbe Stunde lang ihren letzten Schlaf bewachen würden. Dr. Hallmann warf einen mißbilligenden Blick auf die Lederpantoffeln des Obersten, in die der alte Herr barfüßig hineingeschlüpft war. Herr von Krappf gehörte zu Dr. Hallmanns Patienten, wenn er ihm auch wenig Gelegenheit gab, an ihm seine Kunst auszuüben.
»Wenn Sie auf mich hören wollen, Herr von Krappf, dann ziehen Sie sich das nächstemal bei solch einer Gelegenheit Socken an.«
»Werde mich das nächstemal danach richten, Doktor«, sagte Herr von Krappf und empfahl sich.
Frau Holldorf hatte ein Blick ins Zimmer genügt, um zu erfahren, was geschehen war. Ihr kamen die Tränen, und ihr Mann legte ihr den Arm um die Schultern und führte sie sanft in die eigene Wohnung zurück. »Leg dich zu Bett, Mädchen, das ist nichts für dich.«
Dr. Hallmann hatte drüben inzwischen seine kurze Untersuchung beendet und bat Holldorf, ihm behilflich zu sein, die alte Frau auf das Sofa zu betten. Was sonst noch zu tun war, wollte er von daheim aus telefonisch erledigen.
Holldorf nahm den Wecker von seiner klirrenden Unterlage und setzte ihn auf den Tisch. Die Uhr ging auf fünf. »Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als die Tochter und den Schwiegersohn zu erwarten.«
»Ja, Herr Holldorf, denn mir werden Sie es nicht übelnehmen, wenn ich ins Bett gehe. Ich war, als Ihre Frau mich holte, gerade von einer Geburt heimgekommen.«
»War’ kein Beruf für mich.«
»Denke ich mir auch manchmal, aber trotzdem...« Der Doktor packte seine Tasche und verabschiedete sich. Holldorf verließ die Wohnung und sperrte sie hinter sich zu. Dann zog er sich an und wartete auf die Macphersons.
Sie kamen bald nach fünf und nahmen den schmerzlichen Schlag mit Fassung entgegen. Und sie blieben eine Woche. Sie schliefen in den Betten, die Frau Düsenengel ihnen hergerichtet hatte, und benutzten die Tage, um den kleinen Haushalt aufzulösen. Ein paar Kleinigkeiten legte Frau Macpherson beiseite, um drüben in Detroit ein Andenken an die Mutter zu haben. Den schönen alten Ohrenbackenstuhl schenkten sie Holldorfs zum Dank für die nachbarliche Hilfe. Sie boten auch dem Obersten an, sich ein Stück auszusuchen, aber er lehnte mit Dank ab. Dafür erschien er als einziger von den Herren des Hauses bei dem Begräbnis, und Jack Macpherson konnte den Blick nicht von dem hohen Zylinderhut wenden, den der Oberst bei dieser feierlichen Gelegenheit trug.
Die allgemeine Anteilnahme des Hauses und der Nachbarschaft wandte sich der Tochter aus Amerika zu, und man sprach bedrückt und erregt vom tragischen Tode der alten Frau, ein Ausdruck, der auch in der Anzeige im Generalanzeiger wiederkehrte und den auch Frau Lindberg gebrauchte.
In acht Tagen lösten die Macphersons den kleinen Haushalt der Frau Düsenengel auf. Frau Macpherson weinte bitterlich, als der Althändler mit einem Gehilfen erschien und die Möbel, die sie zum größten Teil noch aus ihrer Kindheit kannte, abtransportierte. Am gleichen Tage fuhren auch die Macphersons weiter; sie wollten, da sie nun schon einmal in Europa waren, noch ein paar Wochen im Süden verbringen.
Die Wohnung, die nach dem Mietvertrag dem neuen Mieter in tadellosem Zustand zu übergeben war, reinigte Frau Holldorf, und die Kinder Anni und Peter halfen ihr dabei. Onkel Jack hatte jedem von ihnen beim Abschied ein blankes Fünfmarkstück geschenkt, und sie hatten das Geld schweren Herzens in ihre
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