Ein Haus in Italien
abbestellt und den nächsten geschickt. Mitte Mai war die Zeit für Felder voller braunroter, wilder Gladiolen gewesen, Juni war rot vor Mohnblumen, Juli der Monat der wilden Orchideen, die zu Hunderten im Rispengras kauerten. Mitte August waren alle in der Hitze eingegangen, auch die seltenste, die ein Meter fünfzig hohe Bocks-Riemenzunge mit ihren bizarren, reptilienartigen Blüten.
Die Felder und Wegränder waren bei unserer Ankunft blau vom Ehrenpreis gewesen, nun wurden sie es wieder vom atemberaubenden Himmelblau der Wegwarte. Wir stapften im Schutt unseres Gartens durch diese kniehohen Blumen, wir durchstreiften sie auf unserem Weg zum See, traten dabei auch auf Pfefferminze und schufen so bis zum Wasser hinunter eine duftende Fährte.
Imolo mit seinen Arbeitern legte damals in der Eingangshalle den Fußboden aus rosa Travertin, ein Geschenk von Robbies Mutter, und er schien vorübergehend an meiner Gesellschaft weniger interessiert als zuvor. Der Malermeister kam jeden Tag herauf und vollbrachte an den Wänden der Räume im ersten Stock eigene Farbwunder. Die angekündigte, zweitägige Wartezeit auf unsere Möbel verstrich, und nichts wirbelte den Staub unserer Straße auf, was auch nur im entferntesten einem Containerlastzug ähnelte.
Als ich anrief, legte der Zollbeamte nicht den Hörer auf, und er brüllte auch nicht. Er nannte mich »cara signora« und versicherte mir, die Lastwagen seien unterwegs. Dies entsprach, wie sich zeigte, nicht ganz der Wahrheit. Sie kamen erst zwei Tage nach ferragosto.
15. Kapitel
D er 15. August ist in Italien ein Feiertag: Ferragosto. Zu dieser Zeit teilen sich die Italiener traditionell in zwei Fraktionen: jene, die der Hitze zu entkommen suchen, indem sie in die Berge fliehen, und solche, die der Hitze zu entkommen suchen, indem sie ans Meer fliehen. Zu dieser Zeit kommt das ganze Land knirschend zum Stillstand und macht Ferien; Geschäfte, Bars, Büros und Restaurants verbarrikadieren ihre Türen und befestigen daran Zettelchen, wie aus dem Schulheft eines Kindes gerissen, auf denen in krakeligen Druckbuchstaben »Chiuso per ferragosto« steht, als hätte nicht bereits der Anblick der öden, verrammelten Fassaden jeden Zweifel ausgeräumt. Ich stelle mir Ferragosto immer als Wettrennen vor, wie übrigens viele Italiener auch. Die Ferien beginnen wie auf Startschuß, und zielstrebig wälzt sich eine unglaubliche Autoschlange auf die Straße. Manche könnten einen Tag früher, andere einen Tag später fahren, aber in der Numerologie des Ferragosto steckt Magie und ein debiler Glaube an Sicherheit in der Menge.
In San Orsola herrscht eine an Aberglaube grenzende Furcht, den Ort zu verlassen. Einige Familien schleichen schneckengleich zum Meer bei Fano, ein paar junge Leute machen sich zu mehreren zu den Seen oder in die berühmten Städte auf. Nur wenige fahren ins Ausland, da jeder, der es versucht hat, mit Horrorgeschichten über das Essen zurückkehrte. Selbst Reisende nach Nizza beladen ihr Auto mit genügend Vorräten, um über die Runden zu kommen, bis sie in ihre eigenen
Küchen zurückkehren. Im großen und ganzen ist Ferragosto für die Orsolani die Zeit, wenn Männer in kurzen Hosen und albernen Stoffsonnenhüten in der Bar herumsitzen, Arbeiten an ihren eigenen Häusern verrichten und in der Cronaca Umbra Berichte über endlose Verkehrsstaus anderenorts lesen.
Es ist keine günstige Zeit, um geboren zu werden oder zu sterben, eine schlechte Zeit, um krank zu werden oder nach einem Anwalt zu suchen. Alles steht still. Es war eine schlechte Zeit, um auf irgendwelche Lieferungen zu warten.
Jeden Nachmittag glitten zwei Bussarde über das Tal. Sie kreisten zwischen der Hügelkette hinter der Villa und dem fernen Gipfel des Sant'Agnese, dessen dunkle, gebieterische Pappeln sich am Horizont abzeichneten, und stießen gelegentlich herab. Robbie und ich waren beide Möchtegern-Falkner; wir träumten davon, einmal selbst Beizfalken und ein paar Bussarde zu besitzen. Wir zeichneten Pläne für eine verzierte Falknerei mit geschnitzten Holzsimsen und schrieben noch ein paar Listen, welches Zubehör wir dafür kaufen würden, eines Tages, in der unabsehbaren Zukunft, wenn alles fertig sein würde. Realistischer war, daß wir alle potentiellen Besucher auf die Zeit vertröstet hatten, wenn die Möbel da sein würden. Nachdem wir aus Livorno grünes Licht hatten, riefen wir Freunde und Verwandte in ganz Europa an, um mitzuteilen, daß wir nun offiziell zu Hause seien.
Weitere Kostenlose Bücher