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Ein Haus in Italien

Ein Haus in Italien

Titel: Ein Haus in Italien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa St Aubin de Terán
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Locken und dem präraffaelitischen Gesicht war so müde, daß er unter Schockeinwirkung zu stehen schien.
    Wir alle betrachteten schweigend die Felder und die mühevolle Ankunft von Pietro, dem letzten Castellano. Lange bevor er Reginas Bar erreichte, begann er eine Unterhaltung mit Gigi (Pietro wählte für ein Gespräch grundsätzlich die Person, die am weitesten von ihm entfernt war). Seine Stimme kam über die leicht hügeligen, von Maisreihen bestandenen Felder. Er wurde der letzte Castellano genannt, weil er der letzte war, der in dem Turm aus dem zwölften Jahrhundert auf dem Hügel hinter San Orsolas zweiter Kirche geboren worden war. Dieser Turm, früher angeblich so hoch wie der beeindruckende Wachturm von Città di Castello, war von dem Erdbeben des Jahres 1917, das die ganze Gegend verwüstete, in die Knie gezwungen worden. Als Pietro geboren wurde, war der Turm noch vier Stockwerke hoch, nun war er auf drei geschrumpft und verfiel.
    Pietro traf man selten ohne eine Baseball-Mütze, die er keck auf den grauen Locken trug. Er war hager, und in den hellblauen, vorstehenden Augen blitzte immer der Schalk. Wenn er mit den Händen auf der mageren Hüfte umherstol
zierte und sich konspirativ auf die Nase klopfte, bevor er ein Geheimnis heraustrompetete, hatte er etwas von einer Varieténummer.
    Als der Abend seine Fühler über das Tal ausstreckte, die Luft abkühlte und das Gleißen milderte, lebten wir allmählich auf. Pietro konnte sich nicht entscheiden, ob er sich zu den Frauen gesellen sollte, die vom Feld kamen, oder zu den Handwerkern auf unserer Bank. Die Frauen, die Unkraut gejätet hatten, waren erschöpft auf dem Heimweg, und um zu ihren alten Naturstein- oder neuen Ytonghäusern zu kommen, fuhren sie den Berg hoch oder nur eine kurze Strecke auf den Traktoren mit. Sie hatten kaum noch die Kraft zu lächeln, statt dessen schüttelten sie die Hände in seitlichen Bewegungen, um die Bestrafung anzudeuten, die sie an diesem Tag im Feld erhalten hatten. Sie reagierten nicht auf die derben Zurufe, als ihr staubiger Konvoi vorüberrumpelte.
    Pietro der letzte Castellano schüttelte den Kopf, zuckte die Schultern hin und her. Er fuhr nicht mit den Frauen zurück, und er fühlte sich auch nicht zermartert genug, um sich zu den erschöpften, sprachlosen Männern auf die Bank zu setzen. Drinnen hatten die jungen Männer mit dem lauten Zahlenspiel aufgehört, das sie sich zugeschrien hatten. Sie setzten sich einige Minuten lang, um kaltes Wasser oder geeiste Orangenlimonade herunterzustürzen (die vielen als unfehlbares Stärkungsmittel galt). Bald waren sie wieder auf den Beinen, scherzten, organisierten und debattierten mit einer Energie, wie sie Pietro inzwischen nicht mehr aufbrachte. Also blieb er unentschlossen am Rand des Grabens auf der anderen Seite des schmalen Pfades neben Reginas Bar.
    Ich war sehr müde, daher fiel mir erst jetzt auf, daß Bren
dan, einer der Lastwagenfahrer, nicht mit den anderen fortgefahren war, sondern neben Imolo saß und mit ihm ins Leere starrte. Ich erinnerte mich, daß er gesagt hatte, er müsse dringend telefonieren. Er wirkte nicht, als habe er das getan. Brendan sah meinen Blick und reagierte darauf, indem er ein langes Jagdmesser mit umwickeltem Griff und einer gefährlich gezackten Klinge hervorzog.
    »Also, du weißt, wofür das ist, oder?« wollte er von mir wissen und zog dabei die Schneide vorsichtig über seine winzigen Finger.
    »Nein«, sagte ich und fragte mich, warum seine kleinen gelben Augen wohl so aufgeblitzt hatten.
    »Damit zersägt man Menschenknochen. Weil, weißt du, wenn sich jemand mit Brendan anlegt, dann hat der kein Problem, ihm mit dem hier Kummer zu machen.«
    Beim Ausladen der Container hatte Brendan erklärt, er sei von der Fahrt zu erschöpft, um sich an etwas derart Schrecklichem wie körperlicher Arbeit beteiligen zu können. So wurde er zum selbsternannten Chef und stand allen im Weg, während sie mit den schweren Möbeln kämpften, erzählte ihnen, wie sie sie heben, tragen und hochstemmen sollten, ohne selbst auch nur einen Finger zu rühren. Brendan war ein Meter sechzig, wenn nicht kleiner, und ging mit den gezierten Schritten eines Möchtegern-Nijinsky. Seine orangefarbene Haarkrause stand ab, als hätte sie einige schwere Stromstöße abbekommen. Büschel waren in lauter verschiedene Richtungen elektrisiert worden. Trotz der brütenden Hitze behielt er seine Jeansjacke an, erwähnte aber häufig die großartigen Muskeln, die unter

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