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Ein Haus in Italien

Ein Haus in Italien

Titel: Ein Haus in Italien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa St Aubin de Terán
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nächtlicher Unruhe, zogen ständig von einem Zimmer ins nächste, mit ihren Schlafmatten, ihren geflochtenen Schuhen und ihren Plastikschüsseln voll Seifenlaugen mit schmutziger Unterwäsche, die dann vergessen wurde. Ich habe den Grundriß des großen Hauses nie ganz begriffen, und zwar nicht, weil es so groß gewesen wäre, sondern weil die Zahl der Bewohner von Tag zu Tag wuchs und schrumpfte, weil sie umzogen und sich versteckten.
    In der ersten Zeit waren die meisten Mädchen (die meine
Schwiegermutter hochherrschaftlich als meine Dienstmädchen bezeichnete) jünger als sechs Jahre. Sie lebten in einer Welt ständiger Entdeckung, sie erfanden Spiele, stopften Blätter in Toilettenschüsseln, die sie noch nie gesehen hatten, rupften das Laub von den Büschen in meinem Garten, neckten den kleinen Zoo, der sich irgendwie um mich gesammelt hatte, und spielten Verstecken. Jedes dieser kleinen Dienstmädchen hatte eine winzige Aufgabe, die es einmal in der Woche erledigen mußte. Wenn ich an jene Tage meiner ersten Ehe zurückdenke, kann ich mich nicht mehr an alle Pflichten aller Kinder erinnern, die mit mir in der Casa Grande lebten. Ich weiß noch, daß Alba, aufgrund irgendeiner grausigen Vorliebe, es mit ihren sechs Jahren auf sich nahm, die Hühnertöterin zu sein. Sie erledigte sie donnerstags mit einem flachen Stein und einem einzigen Schlag auf den Hals. Ihre vierjährige Schwester pflückte Blumen für mich und lernte, sie anzuordnen. Ein anderes Kind, Adriano, hackte für meine vierzehn Beagles Petersilie. Die anderen sind zu unzusammenhängenden Namen und Gesichtern verblaßt.
    Ich war auf der Hacienda immer zu sehr Außenseiterin, um mich wirklich einzufügen. Bei meiner Ankunft war ich selbst kaum mehr als ein Kind, ich schloß Freundschaft mit den Kindern und nahm sie auf, anfangs, um sie bei Krankheiten zu pflegen, die zu bekämpfen ihre Eltern weder Zeit noch Wissen oder Geld hatten. In meinen Jahren als Kranke hatte ich ein wenig Krankenpflege gelernt, das übrige fand ich vor Ort heraus. Wenn die Kinder gesund wurden, blieben sie bei mir und trugen Lebensmittel und Kleider in die Lehmhütten zurück, wo ihre Mütter darum kämpften, zwölf Kinder gleichzeitig großzuziehen. Die Kinder hielten meine Einsamkeit in Schach. Im Umgang mit den Erwachsenen auf dem
Landgut war ich die Vorgesetzte und somit in dieser halbfeudalen Gesellschaft dazu verdammt, gesellschaftlich unerreichbar zu sein – von ritualisierten Formalitäten abgesehen. Ich fand einen Weg, ihnen nahe zu sein, indem ich ihre Geschichten sammelte, und sie kamen mir nahe, indem sie mir diese Geschichten immer und immer wieder erzählten.
    Seither hatte ich wohl nach einem anderen in Bergen verlorenen Tal gesucht, wo eine eng verbundene Gemeinschaft mich aufnehmen würde. Die dazwischenliegenden Jahre zwanghaften Umherziehens, in denen ich meine eigenen Kinder von einem Zug zum nächsten schleppte, waren Teil dieser Suche gewesen. In San Orsola fand ich zufällig eine solche Gemeinschaft, die zudem über ein kollektives Gedächtnis verfügte. Und es war ein weitaus sanfterer Ort. Es gab hier weder Messerstechereien noch Ausbrüche von Diphterie. Es gab weder Fehden noch mitternächtliche Blutrache. Die staubige Straße zu unserem Haus brauchte Regen, aber nicht, um Blutspuren fortzuwaschen. An die Stelle der Grausamkeit und Gewalttätigkeit der Hacienda mit ihrer extremen Armut waren ein Stolz und eine Freude getreten, mit denen sich viel einfacher leben ließ.
    Die Besucher brachten Erinnerungen an die Hacienda zurück. Als mein Haus voller Menschen war und meine Hände damit beschäftigt, sich um sie zu kümmern, war ich auf eine Weise zufrieden, die mir lange gefehlt hatte. Die Anwesenheit von Imolo und seinem Bautrupp in unserem Haus störte mich im Grunde nicht. Ich war sicher, daß der Tag kommen würde, an dem er gehen würde, und bis dahin kam es zu einer Annäherung zwischen uns, wie sie mir in den Anden versagt geblieben war.
    Der einzige Wermutstropfen war die fortgesetzte Anwesen
heit von Brendan, dem Lastwagenfahrer und Kampfsportexperten, dessen tägliche Nähe nicht nur für Spannungen, sondern auch für Angst sorgte. Die Menschensäge war sehr präsent. Inzwischen waren mehrere Dutzend Teekisten mit Haushaltswaren ausgepackt worden, aber nie rasch genug, um mit seiner Liebe zu Rühreiern Schritt zu halten. Am Waschbecken türmten sich Töpfe, Kasserollen, Bratpfannen und Kuchenformen, alle mit Resten seiner häufigen

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