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Ein Haus in Italien

Ein Haus in Italien

Titel: Ein Haus in Italien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa St Aubin de Terán
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Hahn langsam Wasser tropfte. Da er durstig war, ging der Pilger näher. Er beugte sich vor, um zu trinken, und als er den Hahn zudrehen wollte, fiel sein Blick auf ein undeutliches Muster, das am Rand des schmutzigen Wassergefäßes eingeritzt war. Als er den Lehm etwas wegrieb, stellte er fest, daß der Teller aus Silber war.
    Damit, so erfuhr ich, begann die sagenumwobene Ausgrabung des Schatzes von Canoscio. Von dem Bauern geführt, entdeckten Archäologen den kompletten Satz eines silbernen Liturgie-Gerätes aus dem neunten Jahrhundert. Es waren große Teller, kleine Teller, Kelche in verschiedenen Größen, Löffel, Tabletts – einfach alles, was damals ein Priester zur Liturgie benutzte. Jede Gegend hat ihre Geschichte eines verborgenen Schatzes. Es ist der Traum des armen Mannes. Wenn der Boden so festgebacken oder gefroren ist, daß Graben zur Schufterei wird, dann, stelle ich mir vor, nehmen solche Geschichten ihren Anfang; die Suche nach Gold spornt zu übermenschlichen Anstrengungen an. Als ich die Canoscio-Geschichte zum ersten Mal hörte, schien sie mir glaubwürdig, weil kein Gold darin vorkam: Silber ist nicht so mythisch. In Città di Castello freute ich mich geradezu albern darüber, daß es den Schatz von Canoscio wirklich gab, denn das machte auch Imolos andere Geschichten glaubwürdig.
    Nach der Kathedrale und ihrem Museum fanden wir in einer Seitenstraße eine Trattoria, wo es frische gnocchi mit porcini -Pilzen und Sahne gab, und aßen in Ruhe zu Mittag. Dann saßen wir in einem alten öffentlichen Park an der Stadtmauer auf einer Steinbank im Schatten alter Platanen und be
mühten uns, Eis zu essen, während die Sonne es uns aus der Hand schmolz. Hinter der Mauer erstreckten sich sanfte grüne Hügel mit großen Waldstücken.
    Während wir den Ausblick bewunderten, diskutierten Allie und das Kind Iseult auf italienisch, ob wir als nächstes nach Perugia oder nach Assisi fahren sollten. Eine strickende Dame mittleren Alters, neben der ein Sportwagen mit einem schlafenden Kind stand, verfolgte das Gespräch. Sie hatte kurzgeschnittenes graues Haar, auf ihrem breiten Gesicht lag ein geschäftsmäßiges, nüchternes Lächeln.
    »Fahren Sie zu beiden«, sagte sie. »Sehen Sie sich beide an.«
    »Das werden wir, wir können uns nur nicht entscheiden, wohin wir zuerst fahren.«
    »Glauben Sie mir, das ist egal, solange Sie beide sehen. Streiten Sie nicht. Es ist egal, wohin Sie fahren, solange Sie nicht nach Gubbio fahren.«
    An dieser Stelle trat eine Pause in unserem Gespräch ein, und die Dame wurde zum Mittelpunkt. Sie nutzte die Gelegenheit, lächelte verschmitzt und hob die Hände in gespielter Verzweiflung. Ich fühlte mich gedrängt nachzufragen.
    »Wissen Sie denn nicht«, sagte sie, »daß die Eugubini verrückt sind? Alle. Heirate nie einen Eugubino, das weiß jeder.«
    »Verrückt in welcher Hinsicht?«
    »In jeder Hinsicht. Sie sind einfach verrückt. Haben Sie noch nie ceri gesehen?«
    Kerzen? Ich hatte viele Kerzen gesehen. Die oberen Etagen unseres Hauses wurden abends immer noch von Kerzen erleuchtet. Also antwortete ich: » Ceri  … ja.«
    »Eh, aber haben Sie die ceri von Gubbio gesehen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nun, wenn sie jemals gesehen hätten, wie sie bei ihrer festa damit herumrennen, hätten Sie an ihrem Dachschaden keinen Zweifel mehr. Sie machen es jedes Jahr am 15. Mai, und sie machen es schon bald tausend Jahre. Was für ein Theater! Sie haben drei massive, aus Holz geschnitzte Kerzenhalter, einen für jedes Viertel von Gubbio. Es gibt drei Viertel … typische Eugubino-Logik, eh? Drei Viertel machen ein Ganzes!« Die Dame genoß ihr Publikum und widmete sich ihrem Thema mit unverhohlenem Vergnügen.
    »Mein Vater war dort Verwalter einer Villa, ich habe einen Teil meiner Kindheit dort verbracht, daher kenne ich es ein bißchen. Niemand kennt es gut … nicht einmal die Eugubini. Sie sind ein Knäuel, das man nie entwirrt.
    Also, man erzählt sich die Geschichte, Gubbio sei der Sitz eines römischen Irrenhauses gewesen. Die Verrückten aus dem ganzen Imperium wurden dorthin geschickt, sehr viele blieben und heirateten untereinander, daher kommt der Wahnsinn. Die Eugubini selbst bestreiten das. Ich habe nie auch nur einen einzigen gehört, der die römische Irrenanstalt zugegeben hätte, aber alle anderen sagen es. Fragen sie, wen Sie wollen, es ist allgemein bekannt. Niemand weiß genau, ob die Anstalt in der Stadt lag oder ob die ganze Stadt eine Art

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