Ein Haus in Italien
man das Stapeln zu einer Volkskunst kultiviert. Mit penibler Genauigkeit und sehr viel Kreativität stapelt jeder Haushalt sein Holz. Jeder Stoß hat verschiedene Muster, und die Originalität liegt in der Komplexität dieser Muster, der Dichte sowie der genauen Entsprechung von Länge und Breite. Das meiste Holz ist Eiche aus den Wäldern der Gegend. Es wird
von örtlichen Firmen abgeholzt und dann durch die stehenden, fünfzehn Jahre alten Bäume hindurchgerollt, verladen und abtransportiert. Daß ein Drittel der Bäume stehenbleibt, ist gesetzlich vorgeschrieben. Olivenholz ist aromatisch und brennt gut. Es ist noch welches von 1984 übrig, dem Jahr des großen Frostes. Apfelholz ist selten und riecht beim Verbrennen nach Zimt. Kastanienholz ist gut und gibt eine langanhaltende Glut, die harzhaltigen Pinien bringen schnell viel Hitze, aber Eibe ist giftig, und ihr Rauch kann tödlich sein.
»Eh, bè!« wie Cenci sagen würde. »Dies ist eine Eichenwelt.«
Die Tage waren noch warm genug, um im Garten zu essen und stundenlang auf dem freigeräumten Fleck zu sitzen, den bald eine kunstvolle Pergola schmücken würde. Das Begrüßungskomitee von sechs Glyzinien war schon vor Ort, die Pflanzen hatten gerade ihre erste Dürre überstanden, und ich hoffte, daß die kommende Jahreszeit für alle leichter sein würde. Der nächtliche Temperatursturz jedoch geschah so plötzlich, daß Robbie, Allie und ich Erkältung und eine leichte Grippe bekamen. Auch Imolos Arbeiter wurden von dem Virus niedergestreckt. Im Dorf hörten wir nichts als jammervolle Geschichten von leidgeprüften Grippeopfern und ihren Familien.
In San Orsola herrschte große Angst vor Krankheiten, damit verbunden war ein Arsenal von Maßnahmen zu deren Bekämpfung. Über die Eigenschaften warmer und kalter Speisen wußten hier nahezu alle Hausfrauen über vierzig Bescheid. Wenn das Blut überhitzt war, also bei einer Infektion oder bei Fieber, hatten alle Früchte (außer Bananen) heilende Kräfte, ebenso wie Blattgemüse und Salat, nicht aber Tomaten (eingemachte hingegen waren hervorragend). Winzige Nu
delstückchen in brodo wirkten wie italienisches Penicillin. Es war das Allheilmittel gegen alle Übel, fast eine Religion. Fleisch, rotes Fleisch oder Wild überhitzten das Blut, ebenso Milch, Käse, Rotwein und Kartoffeln.
Beim geringsten Unwohlsein galt es immer als klug, sich »al bianco« zu ernähren. Man empfahl weiße, fade Gerichte wie für Babys und als unumgängliche Zugabe große Mengen lauwarmer, in einer unschädlichen Brühe gekochter Miniaturnudeln. Hühnerbrust, Milch, stracchino -Frischkäse und Reis verabreichte man häufiger als Medikamente. Im Keller eines jeden Hauses standen Regale voller penibel gereinigter und geölter Werkzeuge und Maschinenteile. Auch der menschliche Körper galt als überaus faszinierende und komplizierte Maschine. Alles wurde getestet und überwacht. Fortschritte wurden kommentiert, Rückschläge diskutiert. Die contadini hatten immer von der Landwirtschaft gelebt, daher war ihre Arbeit von ihrer Körperkraft abhängig. Krankheit bedeutete schlicht Verzweiflung. In San Orsola fand ich mich tatsächlich dabei wieder, wie ich frühere Operationen, Kaiserschnitte, Infusionen und kurzfristiges Koma als Eintrittskarte in jene Kreise herauskramte, wo das Überleben einer Katastrophe als bewundernswerte Leistung galt. Narben durch das Skalpell eines Chirurgen waren wie Orden, die in schweren Schlachten errungen worden waren. Meine Orden waren meine Narben und Erinnerungen an viele frühere Operationen. Überleben und sich forthin guter Gesundheit zu erfreuen war wie das Überlisten des Schicksals, ein Übertölpeln des unerbittlichen Schnitters. Was gelegentlich wie ein morbides Interesse an Blutdruck oder der Funktionsstörung eines Organs wirken mochte, war auch eine Form der Selbstverteidigung, eine Art, Krankheiten zu bekämpfen.
Gestärkt wurde dieser Widerstand durch die Tageszeitung La Cronaca Umbra , einer Fundgrube an Informationen und Statistiken: »Die Italiener sind, nach den Japanern, das Volk mit der höchsten Lebenserwartung.« Andererseits gab es immer diesen oder jenen Hypochonder, der angesichts derart geballter medizinischer Informationen über mögliche Krankheiten schlichte Begrüßungen wie »Hallo, wie geht's? Alles in Ordnung?« damit beantwortete, daß er in nervenzerrüttender Ausführlichkeit die Störungen seines Darmtraktes darlegte und jeden Krümel seiner bevorzugten weißen Diät
Weitere Kostenlose Bücher