Ein Haus in Italien
beschrieb. Die Tageszeitung erwähnte nicht, ob auch Zuzügler in den Genuß des zusätzlichen Lebensjahrzehnts kamen, doch mir fiel auf, daß ich seit der Lektüre des Artikels über die Langlebigkeit der Italiener begonnen hatte, im Garten nicht nur raketengleich hochschießende, sondern auch langsam wachsende Arten anzupflanzen. So fanden sich auf der Gartenliste neben Akazien und Eukalyptusbäumen auch eine Wellingtonie und eine Libanonzeder, und zu den Glyzinien hatte sich bereits eine langsame und anspruchsvolle Klematis gesellt. Alle berühmten Gärten in gemäßigten Klimazonen waren von Menschen angelegt worden, die wußten, daß ihr Leben zu kurz sein würde, um alle Früchte ihrer Planung zu erleben. Und obwohl ich das wußte, konnte ich nie akzeptieren, daß meine eigenen gärtnerischen Bemühungen im wesentlichen für die nächste Generation sein sollten. Gärtnerei war für mich weniger das Verlangen nach Unsterblichkeit als vielmehr der Wunsch, die Früchte meiner Arbeit zu sehen. Ich war eine egoistische Gärtnerin: Ich wollte etwas Unvergängliches und Schönes schaffen und hinterlassen, aber ich wollte es auch selbst erleben.
Es brauchte immer noch sehr viel Vorstellungskraft, um
mit dem Blick auf Gestrüpp und Schutthügel diesen Garten zu sehen. Ich zog meine Konzentration von anderen Gedanken ab und lenkte sie darauf, mir dieses künftige Wachstum vorzustellen. Ich sah mich nicht nur wie meine Nachbarn September- und Oktobereicheln sammeln, sondern die Früchte eines großen Obstgartens ernten. Vor meinem geistigen Auge erschien eine mit eingemachtem Obst, von den ersten Kirschen bis zu den letzten Äpfeln, gefüllte Speisekammer.
Der Walnußschnaps, greifbarer Beweis dafür, daß etwas aus dem Garten verwendet worden war, reifte auf einer Anrichte. Die anderen Einmachgläser mit hiesigen Produkten waren für mich gleichbedeutend mit guter Haushaltsführung. Der fünf Meter lange Küchenschrank in der großen Küche hatte dringend nach Eingemachtem verlangt, nun stand es da und war mir angesichts der kürzer werdenden Tage eine Beruhigung.
Nachdem er dekantiert worden war, mußte der nocino einen Monat stehen. Mein erstes und einziges Glas haute mich mit so erstaunlicher Geschwindigkeit um, daß ich es von der Küche nicht mehr ins Bett schaffte, sondern en route auf dem Wohnzimmersofa das Bewußtsein verlor. Ich war bis zum folgenden Morgen ohnmächtig. Dieses kurze Koma ließ ich bei medizinischen Erörterungen unerwähnt, und ich habe seither nie mehr gewagt, den nocino zu probieren oder anzubieten. Zweimal entdeckten stöbernde Besucher die gelagerten Flaschen. Meine Schwester Anna probierte einen Fingerhut voll und kippte fast besinnungslos um, aber ein holländischer Designer lobte ihn als »eigenartig wärmend« und trank mehrere Gläser des dicken, dunkelbraunen Zeugs, bevor er ins Bett torkelte. Am folgenden Morgen war er kein sehr vergnügter Gast und sah besorgniserregend fahl aus. Er
schob dies allerdings auf sein nordisches Blut und mehrere durchfeierte Nächte. Man sagte mir, nocino werde mit zunehmendem Alter harmloser. Warten wir's ab.
20. Kapitel
O ktober war der Monat allgemeinen Wohlbefindens und gehörte der Traubenernte, die einfach die Ernte hieß, weil sie gemeinsam eingebracht wird und von allen Ernten die beliebteste ist. Die kleinen Weinberge werden nacheinander gelesen, und die Familien helfen einander. Wir hatten versprochen, Imolo und Maria zu helfen, deren Weinberg ein gerodetes Waldstück auf dem Hügel gegenüber unserem Haus war.
Unser Trupp bestand aus Imolo, Maria, Imolos Mutter und Stiefvater, Imolos Sohn Stefano und seiner Tochter Barbara, beide im Teenageralter. Sein Nachbar Vittorio, der eines Abends von seinem motorino gefallen war und sich die Nase gebrochen hatte, sie aber nie richten oder nähen ließ, war ebenfalls da, sein breites Gesicht war zu einem ständigen Lächeln verzogen, die schiefe Nase verunstaltete ein früher sicher schönes Gesicht. Vittorio schnitt Trauben und philosophierte dabei, indem er sein Leben mit dem knotigen Weinstock und seine Gefühle mit den Trauben verglich. Bei der Lese halfen zwei weitere Nachbarinnen, Frauen mittleren Alters in der traditionellen Hausfrauenuniform von Baumwoll-Kittelschürzen, was zu den großen Gummistiefeln an ihren Füßen nicht recht passen wollte. Sie sagten mir, sie hätten Angst vor Schlangen.
Wir fingen um zehn Uhr an, als die Sonne hoch genug stand, um den Tau auf den Trauben zu
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