Ein Held unserer Zeit
... ... Sie wissen, Gregor Alexandrowitsch, Sie hatten mir Ihre Papiere übergeben ... ich trage sie immer mit mir herum und hoffte sie Ihnen in Georgien zustellen zu können, aber da ich Sie nun hier treffe ... was soll ich damit machen?"
"Was Sie wollen!" antwortete Petschorin. "Leben Sie wohl ..."
"Also nach Persien gehen Sie? ... Und wann kehren Sie zurück?" rief ihm Maxim Maximitsch nach.
Aber der Wagen jagte schon davon, und Petschorin machte mit der Hand ein Zeichen, das man in folgender Weise übersetzen konnte:
"Sie sind betrübt? Ich wüßte nicht warum!"
Schon längst war nichts mehr zu hören, weder von dem Postglöckchen noch von dem Rasseln des Wagens auf dem steinigen Wege, und noch immer stand der arme Greis an derselben Stelle, stumm und in tiefes Sinnen verloren.
"Ja," sagte er endlich, und bemühte sich eine gleichgiltige Miene anzunehmen, obschon Thränen des Aergers von Zeit zu Zeit an seinen Wimpern schimmerten – "und dennoch sind wir Freunde gewesen, – aber was ist heut zu Tage Freundschaft! ... Was kann ihn an mir interessiren? Ich bin nicht reich, ich habe keinen hohen Rang, und an Jahren sind wir uns erst recht nicht gleich ..."
"Und welch ein Stutzer er während seines neuen Aufenthalts in Petersburg geworden ist! ... Welch eine Kalesche! ... Und welch eine Menge Reisegepäck! ... Und welch ein impertinenter Diener!"
Diese letzteren Worte wurden mit einem ironischen Lächeln gesprochen.
"Sagen Sie 'mal," fuhr er, zu mir gewendet, fort, "was halten Sie von einem solchen Einfall? ... Was zum Teufel führt ihn denn nun nach Persien! ... Es ist lächerlich, wahrhaftig lächerlich! ... Uebrigens wußte ich längst, daß er ein windiger Mensch ist, auf den man sich nicht verlassen kann ... Aber schade ist es doch ... er wird ein schlimmes Ende nehmen, ganz unzweifelhaft! ... Ich habe es immer gesagt: Wer seine alten Freunde vergessen kann, an dem ist nichts Solides ..."
Hier wandte er sich wieder ab, um seine Regung zu verbergen, trat in den Hof und ging um seinen Wagen herum, als ob er die Räder untersuchen wollte ... Seine Augen hatten sich mit Thränen gefüllt.
"Maxim Maximitsch," sagte ich, auf ihn zutretend, "was sind das für Papiere, die Petschorin Ihnen übergeben hat?"
"Das weiß Gott! So eine Art Tagebuch ..."
"Was wollen Sie damit machen?"
"Nun – Patronen."
"Geben Sie sie lieber mir."
Er sah mich überrascht an, murmelte etwas zwischen den Zähnen und begann in einem Koffer zu wühlen.
Bald zog er ein Heft hervor, das er verächtlich zur Erde warf; ein zweites, ein drittes und ein viertes hatten dasselbe Schicksal. Es lag in dem Aerger des Hauptmannes etwas Knabenhaftes; wie sehr ich mit ihm auch sympathisirte, sein Zorn kam mir lächerlich vor ...
"Da ist die ganze Schreiberei," sagte er; "ich gratulire Ihnen zu diesem Schatze ..."
"Und ich kann mit diesen Papieren machen, was ich will?"
"Sie können sie sogar in den Zeitungen veröffentlichen. Was gehen sie mich an? ... Bin ich etwa ein Freund oder Verwandter von ihm? ... Allerdings, wir haben lange Zeit mit einander unter einem Dache gelebt ... Aber mit wem hätte ich nicht schon eine Zeit lang zusammengelebt?"
Ich beeilte mich, die Hefte aufzulesen und sie schnell in Sicherheit zu bringen, da ich befürchtete, der Hauptmann könnte auf andere Gedanken kommen. Bald meldete man uns, daß die Occasion in einer Stunde abgehen würde; ich befahl, anzuspannen. Der Hauptmann trat gerade zu mir ins Zimmer, als ich mit den letzten Vorbereitungen zur Abreise fertig war. Er schien mir noch gar nicht zur Abreise bereit, und sein Gesicht hatte einen gezwungenen kalten Ausdruck.
"Reisen Sie denn nicht mit uns, Maxim Maximitsch?"
"Nein!"
"Warum nicht?"
"Ich habe den Commandanten noch nicht gesprochen, und ich muß ihm verschiedene Gegenstände übergeben ..."
"Sie sind aber doch in seiner Wohnung gewesen?"
"Allerdings," versetzte er etwas verlegen; "aber er war nicht zu Hause; und ich wollte nicht warten."
Ich begriff. Der arme Greis hatte vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben eine Dienstsache persönlichen Angelegenheiten nachgesetzt, – und wie war er dafür belohnt worden!
"Es thut mir sehr leid," sagte ich zu ihm, "sehr leid, Maxim Maximitsch, daß wir uns so bald trennen müssen."
"Was kann Ihnen an einem alten, ungebildeten Manne, wie ich bin, liegen! ... Die heutige
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