Ein Held unserer Zeit
Luft schwebende Gebirgskette. Vor unserer Schenke lag ein großer Marktplatz. Es war Sonntag, und der Bazar wimmelte von Menschen. Bald war ich von einem Haufen barfüßiger Ossetenknaben umringt, die auf ihren Schultern Körbe mit Honigscheiben herumtrugen und zum Verkauf anboten. Aber ich hielt sie mir ungeduldig vom Leibe; sie interessirten mich nicht, – die Unruhe des braven Hauptmannes begann sich auch meiner zu bemächtigen.
Noch waren keine zehn Minuten verflossen, als sich am andern Ende des Platzes derjenige zeigte, den wir seit dem vorhergehenden Abend erwarteten. Er war von dem Oberst N. begleitet, welcher, nachdem er ihn zu unserm Wirthshause gebracht, sich von ihm verabschiedete und in das Fort zurückkehrte. Ich schickte sogleich einen der Invaliden zu Maxim Maximitsch.
Der impertinente Diener, mit dem wir am vorhergehenden Abend geredet, ging Petschorin entgegen, theilte ihm mit, daß der Wagen im Augenblick bereit stehen würde, hielt ihm ein Cigarrenkästchen hin und begann, nachdem er einige Befehle erhalten, Vorbereitungen zur Abreise zu treffen.
Petschorin steckte sich eine Cigarre an, gähnte einige Mal und setzte sich dann auf eine Bank vor der Thür.
Dies dürfte der rechte Augenblick sein, euch sein Portrait zu zeichnen.
Er war von mittlerer Größe, schlank und fein gebaut; aber seine breiten Schultern deuteten auf eine kräftige Constitution hin, fähig, die Anstrengungen des Wanderlebens und die klimatischen Veränderungen ebenso zu ertragen, wie die Ausschweifungen des hauptstädtischen Lebens und die Stürme der Leidenschaft. Sein hellgrauer, nachlässig zugeknöpfter Sammetüberrock ließ eine Wäsche von blendender Weiße sichtbar werden, – eines der charakteristischen Zeichen eines Mannes von Geschmack. Seine zerknitterten Handschuhe schienen extra nach einem Modell seiner kleinen aristokratischen Hände gemacht zu sein, und als er einen der Handschuhe auszog, frappirte mich die Zartheit seiner weißen Finger. Sein Gang verrieth Gleichgiltigkeit und Faulheit; aber ich bemerkte, daß er beim Gehen nicht die Arme schwenkte, was ich für einen Beweis eines verschlossenen Charakters halte. Uebrigens sollen diese Bemerkungen nur das Ergebniß meiner Eindrücke sein, und ich habe durchaus nicht die Anmaßung, sie für unfehlbar zu halten.
Als er sich auf der Bank niederließ, schien seine Taille sich über sich selbst zusammenzufalten, als wäre sein Rückgrat ohne Knochen. Seine ganze Haltung verrieth eine gewisse nervöse Schwäche. Wie er so da saß, hätte man meinen sollen, man habe eine dreißigjährige Balzacsche Kokette vor sich, die sich nach einem ermüdenden Ball auf ihren Daunensessel geworfen. Auf den ersten Blick hätte ich ihm nicht mehr als dreiundzwanzig Jahre gegeben, aber bei näherer Betrachtung schätzte ich ihn auf mindestens dreißig. In seinem Lächeln lag etwas Kindliches. Sein Teint hatte eine gewisse weibliche Zartheit. Blondes, natürlichgelocktes Haar beschattete anmuthig seine blasse edle Stirn, auf welcher man, aber erst bei sorgfältiger Betrachtung, Spuren von durcheinanderlaufenden Falten entdeckte, die ohne Zweifel in den Augenblicken des Zornes oder der Aufregung deutlicher hervortraten. Trotz der hellblonden Farbe seines Haares waren Schnurrbart und Brauen doch schwarz – was eben so sehr bei Menschen ein Racezeichen ist, wie bei einem weißen Pferde eine schwarze Mähne und ein schwarzer Schweif. Um das Bild zu vollenden, will ich noch sagen, daß er eine etwas aufgeworfene Nase, untadelhaft weiße Zähne und braune Augen hatte. Aber über diese Augen muß ich mir noch ein paar Worte gestatten.
Zunächst dies: Sie lächelten nicht mit, wenn die Lippen lächelten! ... Ist euch diese Eigenthümlichkeit bei gewissen Menschen nicht aufgefallen? ... Es ist das ein Zeichen eines schlechten Charakters oder eines tiefen unheilbaren Kummers. Unter ihren halbgeschlossenen Lidern hervor strahlten sie einen gewissen phosphorartigen Glanz aus, wenn ich mich so ausdrücken darf. Dieser Ausdruck war weder der Wiederschein einer glühenden Seele noch das Aufblitzen einer erregten Phantasie; es war der Glanz des geschliffenen Stahls, – blendend, aber kalt. Sein Blick war nicht fest, aber durchdringend und peinlich. Er machte den unangenehmen Eindruck einer indiscreten Frage und wäre frech gewesen, wenn er nicht zugleich eine solche Ruhe und Gleichgiltigkeit ausgedrückt hätte.
Vielleicht machte ich alle diese Beobachtungen
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