Ein Held unserer Zeit
Aber, werden sie sagen, das ist ja nur eine boshafte Ironie! – Wer weiß?
3. Taman.
Von allen russischen Seestädten ist Taman unbedingt die erbärmlichste. Ich wäre in diesem Nest beinah Hungers gestorben und wenig hätte gefehlt, so hätte man mich dort ersäuft.
Ich kam spät in der Nacht mit einem Postfuhrwerk an. Der Kutscher hielt mit seinem ermüdeten Dreigespann vor dem Hofthor des einzigen steinernen Hauses, das sich in der Vorstadt befindet.
Die Schildwache, ein Kosak vom schwarzen Meer, schrie, als sie den Ton des Postglöckchens vernahm, mit einer vor Verschlafenheit heiseren Stimme "Werda!"
Der Kosakenunteroffizier und der Corporal kamen heraus. Ich sagte ihnen, daß ich Offizier sei, in Regierungsangelegenheiten reise und als solcher Anspruch auf ein Quartier habe.
Der Corporal führte uns in der ganzen Stadt umher; zu welcher Isba 1 wir auch kamen, – sie waren alle besetzt. Es war sehr kalt; schon drei Nächte hatte ich nicht geschlafen; ich war sehr müde, und so begann ich ärgerlich zu werden.
"So führe mich doch endlich wohin!" rief ich; "und wär' es auch zum Teufel! Wenn ich nur irgendwo ein Lager finde."
"Da wäre wol noch so eine Hütte," antwortete der Corporal und kratzte sich hinter den Ohren; "nur wird sie Euer Wohlgeboren nicht gefallen; es ist dort nicht sauber!"
Ohne über die eigentliche Bedeutung des letztern Wortes nachzudenken, befahl ich ihm, mich dorthin zu führen, und nach einer langen Wanderung durch schmutzige Gassen, an deren beiden Seiten ich weiter nichts als alte verfallene Bretterzäune gewahrte, kamen wir endlich zu einer kleinen, unmittelbar am Gestade des Meeres gelegenen Hütte.
Der Vollmond beschien das Schilfdach und die weißen Wände meines neuen Quartiers. Auf dem Hofe, der von einer Art Mauer aus Kieselsteinen umgeben war, gewahrte ich noch eine andere, viel kleinere und viel ältere Hütte. Von dort neigte sich der Boden fast ganz steil dem Meere zu, das ein ununterbrochenes Gemurmel vernehmen ließ und mit seinen dunkelblauen Wellen fast die Mauern dieser Wohnung bespülte.
Der Mond betrachtete ruhig das aufgeregte, aber seinem Einfluß unterworfene Element, und ich vermochte bei seinem Schein in ziemlich weiter Entfernung vom Ufer zwei Schiffe zu unterscheiden, deren schwarzes Segelwerk sich wie ein Spinngewebe an dem blassen Himmel abzeichnete.
"Da liegen Schiffe vor Anker," dachte ich; "das kommt mir gelegen; morgen kann ich nach Gelendschik weiterreisen."
Ein Kosak von der Linie versah bei mir die Functionen eines Dieners. Ich befahl ihm, meinen Koffer hereinzubringen und den Kutscher zurückzuschicken; dann begann ich nach dem Besitzer des Hauses zu rufen.
Keine Antwort.
Ich klopfe – dasselbe Schweigen ... Was bedeutet denn das? Ich klopfe von neuem, und da seh' ich endlich aus dem Hausflur einen Knaben von etwa vierzehn Jahren herauskommen.
"Wo ist der Besitzer dieses Hauses?"
"Ist nicht," wird mir auf Kleinrussisch geantwortet.
"Wie! Es gibt hier gar keinen Herrn?"
"Nein!"
"Und die Herrin?"
"Die ist ins Dorf gegangen."
"Wer wird mir denn die Thür öffnen?" rief ich, indem ich mit dem Fuße dagegen stieß.
Aber die Thür ging von selbst auf, und aus dem Innern der Hütte strömte mir ein feuchter Dunst entgegen.
Ich strich ein Zündhölzchen an und hielt es dem Knaben unter die Nase: das Licht beschien zwei weiße Augen. Er war blind, von Geburt an vollständig blind. Er stand unbeweglich vor mir, und ich begann die Züge seines Gesichts zu mustern.
Ich muß gestehen, ich habe eine starke Abneigung gegen alle Blinden, Einäugigen, Tauben, Stummen, Lahmen, Einarmigen, Buckligen u.s.w. Ich habe bemerkt, daß immer eine gewisse merkwürdige Beziehung besteht zwischen dem Aeußern des Menschen und seiner Seele, – als ob durch den Verlust eines Gliedes auch die Seele die eine oder die andere Fähigkeit eingebüßt hätte.
Ich begann also das Gesicht des Blinden zu untersuchen; aber was kann man in einem Gesicht lesen, das nicht durch Augen belebt wird? ... Lange betrachtete ich es mit einem unwillkürlichen Gefühl des Mitleids, als plötzlich ein kaum merkliches Lächeln über seine dünnen Lippen zuckte, das, ich weiß nicht warum, einen höchst unangenehmen Eindruck auf mich machte. Der Gedanke ging mir durch den Kopf, dieser Blinde könnte doch wol nicht so blind sein, als es scheine. Vergebens sagte ich mir,
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