Ein Held unserer Zeit
Er weiß nicht," fuhr Gruschnitzki, zu mir gewendet, leise fort, "welche Hoffnungen mir diese Epauletten eröffnen ... O, Epauletten, Epauletten! Eure Sterne – eure Leitsterne werden mich führen zu ... Nein, jetzt bin ich vollkommen glücklich!"
"Gehst du mit uns nach der Schlucht spazieren?" fragte ich ihn.
"Ich? Um keinen Preis der Welt werde ich vor den Augen der Fürstin erscheinen, ehe meine neue Uniform fertig ist."
"Soll ich ihr von deiner Freude erzählen?"
"Nein, ich bitte dich, thue das nicht ... Ich möchte ihr diese Ueberraschung selbst bereiten."
"So sage mir wenigstens, wie du jetzt mit ihr stehst?"
Diese Frage machte ihn ein wenig verwirrt und nachdenklich. Gern hätte er geprahlt und gelogen, – aber er machte sich doch ein Gewissen daraus, und andererseits schämte er sich wieder, die Wahrheit zu gestehen.
"Glaubst du, daß sie dich liebt?"
"Mich liebt? Aber ich bitte dich, Petschorin, wo denkst du hin! ... Wie wäre das so schnell möglich? ... Und wenn sie mich auch liebte, würde ein so vornehmes, feinfühliges Mädchen das eingestehen?"
"Sehr schön. Nach deiner Ansicht muß also ein anständiger Mensch seine Leidenschaft verheimlichen?"
"Je nachdem, lieber Freund. Es gibt manche Dinge, die man nicht durch Worte offenbart, sondern errathen läßt."
"Ganz richtig. Aber die Liebe, die wir in den Blicken einer Frau lesen, bindet sie nicht wie ein gegebenes Wort ... Sei auf deiner Hut, Gruschnitzki, sie wird dich täuschen ..."
"Sie!" versetzte er, und richtete die Augen gen Himmel und lächelte selbstzufrieden. "Du thust mir leid, Petschorin!"
Er ging.
Gegen Abend begab sich eine zahlreiche Gesellschaft zu Fuße nach der Schlucht.
Nach der Ansicht der hiesigen Gelehrten ist diese Schlucht ein erloschener Krater. Sie befindet sich an einem Abhang des Maschuk, etwa eine Werst von der Stadt. Man gelangt dorthin auf einem schmalen, felsigen Pfade. Ich bot Mary den Arm und sie ließ ihn während der ganzen Promenade nicht wieder los.
Unser Gespräch begann mit Verleumdungen. Ich machte mich über unsere Bekannten lustig, anwesende wie abwesende; wobei ich zunächst ihre lächerlichen und dann ihre schlechten Seiten vornahm. Meine Galle war in Thätigkeit. Mit Scherzen hatte ich angefangen, mit aufrichtigen Bosheiten hörte ich auf. Anfangs amüsirten sie meine Ausfälle, dann erschreckten sie sie.
"Sie sind ein gefährlicher Mensch," sagte sie. "Ich möchte lieber im Walde unter den Dolch eines Mörders als unter die Stiche ihrer bösen Zunge gerathen ... Ich bitte Sie ernstlich, wenn es Ihnen einfallen sollte, schlecht von mir zu reden, nehme Sie dann lieber einen Dolch und tödten Sie mich – ich glaube, das würde Ihnen nicht schwer werden."
"Sehe ich aus wie ein Mörder?"
"Sie sind noch schlimmer ..."
Ich dachte einen Augenblick nach und sagte dann in tiefbewegtem Tone zu ihr:
"Ja, das ist von Kindheit an mein Schicksal gewesen! Alle Narben auf meiner Stirn, die Zeichen schlechter Gefühle, die ich nicht hatte: man hat sie mir zugeschrieben – und endlich sind sie in mir entstanden. Ich war aufrichtig – man schalt mich hinterlistig: da bin ich verschlossen geworden. Ich war sehr empfindlich für Gutes und Böses – Niemand liebkoste mich; jeder beleidigte mich: ich wurde rachsüchtig. Ich war mürrisch inmitten einer Schaar fröhlicher, ausgelassener Kinder; ich fühlte, daß ich ihnen überlegen war – man drückte mich unter sie herab: ich ward neidisch. Ich hätte gern die ganze Welt geliebt – Niemand verstand mich: ich lernte hassen. Meine freudlose Jugend ist ein beständiger Kampf gewesen zwischen mir und der Welt; aus Furcht, ausgelacht zu werden, vergrub ich meine schönsten Gefühle in der Tiefe meines Herzens: dort sind sie erstorben. Ich sagte stets die Wahrheit – man glaubte mir nicht. Ich begann zu täuschen. Als ich die Welt und die Triebfedern der Gesellschaft kannte, ergab ich mich der Wissenschaft des Lebens, aber ich sah, wie andere ohne Wissenschaft glücklich waren und alle die Vortheile genossen, um welche ich mich so eifrig bemüht. Da bemächtigte sich meiner die Verzweiflung, – nicht jene Verzweiflung, die Heilung sucht in einem Pistolenschuß, sondern jene kalte kraftlose Verzweiflung, die sich unter höflichen Formen und liebenswürdigem Lächeln verbirgt. Ich war ein moralischer Krüppel geworden. Die beste Hälfte meiner Seele existirte nicht mehr; sie
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