Ein Held unserer Zeit
zerstören? Wie oft hat das Schicksal seit dem Tage, wo ich in das wirkliche Leben eingetreten bin, mich in fremde Schauspiele hineinverwickelt, um die Lösung derselben zu beschleunigen – als könnte ohne mich Niemand sterben, Niemand in Verzweiflung gerathen! Ich war immer die nothwendige Person des fünften Akts; wohl oder übel spielte ich die traurige Rolle des Verräthers oder Henkers. Was kann das Schicksal mit mir vorhaben? ... Bin ich von ihm dazu ausersehen, den Verfassern von bürgerlichen Trauerspielen und Familienromanen – oder den Lieferanten von Novellen, wie z.B. der in der "Lesebibliothek," den Stoff zu liefern? ... Was grüble ich? ... Wie manche Menschen träumen sich beim Beginn ihres Lebens, sie würden es wie Alexander der Große, oder wie Byron schließen, während sie bis an ihren letzten Tag friedliche Hof- und Staatsräthe bleiben ...
Als ich in den Saal trat, versteckte ich mich in einem Haufen von Zuschauern, um bequem meine Beobachtungen machen zu können. Gruschnitzki stand neben der Fürstin und redete mit großer Wärme. Sie hörte ihn zerstreut an, blickte zur Seite und legte ihren Fächer an die Lippen. Auf ihren Zügen lag ein Ausdruck von Ungeduld, ihre Augen suchten irgend Jemand. Ich näherte mich ihr still, ohne daß sie mich sah, um ihr Gespräch mit anhören zu können.
"Wie Sie mich foltern, Fürstin!" sagte Gruschnitzki. "Sie haben sich seit einigen Tagen schrecklich geändert ..."
"Und Sie ebenfalls," antwortete sie, indem sie einen raschen Blick auf ihn warf, aus welchem er eine geheime Ironie nicht herauszufühlen verstand.
"Ich! Ich mich verändert ... O, niemals! Sie wissen, daß das unmöglich ist! Wer Sie einmal gesehen, wird Ihr göttliches Bild ewig im Herzen tragen."
"Hören Sie doch auf!"
"Warum wollen Sie jetzt nicht mehr die Worte anhören, die Sie noch vor Kurzem so wohlwollend aufnahmen?"
"Weil ich Wiederholungen nicht liebe," antwortete sie lachend.
"O, ich habe mich grausam getäuscht! ... Thor, der ich war, ich glaubte wenigstens, diese Epauletten würden mir das Recht geben zu hoffen ... Aber nein ... es wäre besser für mich gewesen, wenn ich mein ganzes Leben in diesem erbärmlichen Soldatenmantel geblieben, welchem ich vielleicht Ihre Aufmerksamkeit zu verdanken habe."
"Dieser Mantel stand Ihnen in der That viel besser."
In diesem Augenblick trat ich vor und verbeugte mich vor der Fürstin. Sie erröthete ein wenig und sagte rasch:
"Nicht wahr, Herr Petschorin, der graue Mantel stand Herrn Gruschnitzki weit besser?"
"Da bin ich nicht Ihrer Ansicht," antwortete ich; "die Uniform macht ihn viel jünger."
Diesen Schlag ertrug Gruschnitzki nicht. Wie alle Knaben hat er die Prätension, als ein alter Mann zu erscheinen. Er meint, die Leidenschaften hätten seinem Gesicht tiefe Spuren, die Spuren des Alters aufgedrückt. Er warf mir einen wüthenden Blick zu, stampfte mit dem Fuße und entfernte sich.
"Gestehen Sie," sagte ich zu der Fürstin, "daß er, obgleich immer sehr lächerlich, Ihnen doch bis vor Kurzem noch interessant erschien – in seinem grauen Mantel?"
Sie senkte die Augen und antwortete nicht.
Den ganzen Abend verfolgte sie Gruschnitzki und tanzte entweder mit ihr oder ihr gegenüber. Er verschlang sie geradezu mit seinen Augen, seufzte und belästigte sie mit seinen Bitten und Vorwürfen. Nach der dritten Quadrille verabscheute sie ihn bereits.
"Das hätte ich von dir nicht erwartet," sprach er, indem er auf mich zukam und meinen Arm ergriff.
"Was denn?"
"Du tanzest ja mit ihr die Mazurka," rief er in tragischem Tone. "Sie hat's gestanden."
"Warum denn nicht? Ist es vielleicht ein Geheimniß?"
"Aber ich hätte das von einem solchen Mädchen, einer solchen Kokette erwarten können ... Indeß, ich werde mich rächen!"
"Klage deinen Mantel oder deine Epauletten an, und nicht sie. Ist es ihre Schuld, daß du ihr nicht mehr gefällst?"
"Aber warum mir dann Hoffnungen machen?"
"Aber warum hast du gehofft? Man kann wünschen und Jemand den Hof machen – immerhin; aber wer wird da hoffen?"
"Du hast deine Wette gewonnen, – aber noch nicht ganz," sagte er mit einem boshaften Lächeln.
Die Mazurka begann. Gruschnitzki tanzte nur einmal mit Mary, die andern Cavaliere forderten sie jeden Augenblick auf: das war offenbar ein gegen mich gerichtetes Complot. Um so besser! Sie wünscht mit mir zu reden; man hindert sie daran
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