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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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wünschte sich Schwester Ina etwas ganz, ganz anderes, aber das konnte man natürlich nicht aussprechen.
    Aber der unbescholtenen Schwester Ina wurde an diesem Frühlingstag nicht einmal die Apfelschnitte zuteil, denn Bettina hatte eine Begegnung, über der sie Schwester Ina völlig vergaß.
    Nicht, daß Bettina ihr Stammcafé nicht aufgesucht hätte. O doch, sie saß da und bestellte gehorsam ihre Schokolade. »Zwei Kilo hätte ich an Ihnen gern noch gesehen«, hatte Professor Burrli gesagt. Also ‘reinstopfen, was hineinging. Im übrigen war Bettina schon nahezu süchtig nach diesem nachmittäglichen Kännchen Schokolade. Schokolade statt Zigaretten, statt Alkohol, statt Liebe, statt Abenteuern. Sie war anspruchslos, sie war tausend Jahre alt.
    Sie hatte ihre Illustrierte vom Anfang bis zum Ende einschließlich der Anpreisungen von Miederwaren, Kopfschmerztabletten, Autoreifen, Krawatten, Bodenbelag, Spülmaschinen, Füllfederhaltern, Qualitätsfasern, Sekten und federleichten Humbugs für den Herrn mit Stil durchgefilzt.
    Jetzt pirschte sie sich eben ans Kreuzworträtsel heran, allerdings mit gemischten Gefühlen, weil sie Bernhard seine Kreuzworträtselei immer so verübelt hatte. Da ließ sie eine Stimme aufhorchen.
    Die Stimme sagte: »Chaiber Bub, wir müssen heim.«
    Es war bestimmt nichts Ungewöhnliches, in Davos Schwyzerdütsch zu hören, aber diese Stimme hier war nicht irgendeine. Sie hatte in Bettinas Unterbewußtsein einen festen, wenn auch verborgenen Platz. Die Stimme gehörte Ludwig Seggelin.
    Und der in eine andere Sprache schwer zu übersetzende >chaibe Bub< war ein flachsblonder, stämmiger kleiner Junge, der von Seggelin mit sanfter Gewalt vor sich hergetrieben wurde, dem Ausgang des Kaffeehauses zu. Ihm voraus schritt eine hübsche junge Frau, von Bettina unschwer als Hélène Bartisse identifiziert, an der Hand ein blondes Mädchen. Das kleine Mädchen hatte ein Bein geschient und zog es etwas nach.
    Hélène Bartisse trug ein dunkelblaues Kostüm.
    Sie war ein ideales, adrettes Frauchen, auf das Männer sprangen, stellte Bettina mit Bitterkeit fest. Sie selbst war uralt, kraftlos, hölzern, eine schokoladetrinkende Sanatoriumsinsassin. Hélène schwenkte beim Gehen ihr schickes blaues Kostümchen und alles, was sich darunter befand, anschaulich nach rechts und links. Ludwig Seggelin, mit dem Sohn an der Hand, den er vom Schaukasten für Pralinen weggezogen hatte, schritt wie ein stolzes Familienoberhaupt hinter ihr her. Das Ende der Prozession bildete ein Boxerhund, Nase und Lefzen am Boden schleifend, als verfolge er eine hochinteressante Spur. Dabei waren es doch nur die Seggelins. Es bestand kein Zweifel, daß diese vier inzwischen zu einer glücklichen Familie verschmolzen waren. Bettinas Backenmuskeln versteiften sich. Sie merkte, wie ihr Gesicht böse wurde. Warum? Was bedeutete ihr Familie Seggelin? Was die blaukostümierte Genferin, die sich an den Witwer herangemacht hatte?
    Dennoch hielt es Bettina nicht mehr länger in dem Café. Fast wäre sie weggelaufen, ohne zu bezahlen, und für die Apfelschnitte für Schwester Ina war schon gar kein Platz mehr in ihren Gedanken. Bettina sah gerade noch das Auto mit dem polizeilichen Kennzeichen von Mailand abfahren. Aus dem Rückfenster glotzte treuherzig der getigerte Boxer.
    »Alle fünf sind glücklich, amen«, murmelte Bettina. »Amen (hebräisch): gewiß, wahrlich, sie hatte das kürzlich in einem Lexikon für ein Kreuzworträtsel nachgeschlagen. Was trieb man nicht alles, wenn man immer nur mit sich allein war... Die Eintönigkeit der Sanatoriumstage wurde von Tag zu Tag unerträglicher.
    Die nächsten Tage verbrachte Bettina damit, nicht an Seggelin denken zu wollen. Aber es gelang ihr nicht. Sie dehnte ihre Spaziergänge aus, und ihre Augen wanderten ruhelos umher, suchten, spähten nach Familie Seggelin oder wenigstens dem Hund. Bettina trieb sich in der Nähe der großen Hotels herum und hielt Ausschau nach einem Wagen mit der Mailänder Nummer. Aber er war wie vom Erdboden verschluckt. Schließlich durchstöberte sie das Telefonbuch, was natürlich ganz sinnlos war. Nein, es war nicht sinnlos! Es war eine ihrer erfolgreichsten Eingebungen! Denn da stand es, schwarz auf weiß gedruckt: SEGGELIN, LUDWIG. Bettina wurde es schwummrig, als sie das las.
    Anrufen? Ja. Aber vom Sanatorium aus konnten solche frivolen Dinge nicht betrieben werden. »Liebe, herzliebe Schwester Ina, heute vergesse ich Sie ganz bestimmt nicht!«
    Bettina

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