Ein Herz bricht selten allein
begleitete ihn in den
Korridor. Beide gingen auf Zehenspitzen, aber dennoch öffnete sich die Tür zum
Schlafzimmer der Padrona einen Spalt.
Bettina hatte den Plan gehegt,
einfach früh am Morgen aus der Pension zu flüchten. Später würde sie dann das
Geld bezahlen, das sie schuldete. Aber wie sollte sie hier jemals ungesehen mit
ihrem Gepäck ‘rauskommen? Sie saß so richtig in der Patsche. Sollte sie
Seggelin beim Gutenachtsagen umarmen und ihm dabei heimlich die Brieftasche
mausen? Sie hatte keine Erfahrung in diesen Dingen, weder in leidenschaftlichen
Überfällen noch im Erbeuten von Wertgegenständen.
»Herr Seggelin, ich brauche
etwas Geld«, stieß sie hervor und schloß dabei die Augen, als könne sie dadurch
eine gewisse Anonymität wahren.
»Geld?« Er stutzte.
Bettina riskierte einen Blick
in sein Gesicht. »Ich bin durch den Schwindel mit dem Film und natürlich erst
recht durch das, was Sie mir von Jean erzählt haben, in einer abscheulichen
Lage, wie Sie sich vielleicht denken können, Ich kann hier meine Rechnung nicht
bezahlen und die Fahrt nach Elba auch nicht.«
»Was wollen Sie denn auf Elba?«
»Ich möchte zu meiner Mutter.«
Dieses Zauberwort wirkte.
»Wieviel brauchen Sie denn?« Er
fummelte in seiner Brieftasche herum.
»Mit dreißigtausend Lire würde
ich alles schaffen.« Ihr fehlten genau die dreißigtausend Lire, die sie Jean
gegeben hatte.
Seggelin reichte ihr die
Scheine.
»Ich schicke Ihnen das Geld
sofort. Sie können sich darauf verlassen. Übermorgen spätestens...«
Aber Seggelin ließ sie nicht
ausreden. »Mein liebes, gutes Kind, ich glaube schon lang nicht mehr an den
Klapperstorch«, sagte er, ging und schloß die Tür hinter sich.
Bettina starrte ihm nach.
Tränen des Zorns in den Augen. Sie hätte am liebsten die Tür wieder aufgerissen
und ihm seine Geldscheine nachgeschmissen, aber in ihrer Situation konnte sie
sich diesen Stolz einfach nicht leisten.
Bettina erfuhr nicht, was Herr
Seggelin von ihr dachte, aber was die Padrona der Pension von ihr dachte,
darüber wurde sie am nächsten Morgen genau unterrichtet. Die Signora erschien
bei Bettina, als diese sich eben zu einem zweiten Morgenschlummer zurechtlegte.
Sie redete mit großen Gesten und feurigen Augen, als halte sie eine zündende
vaterländische Rede. Bettina verstand nur jedes zwanzigste Wort, aber sie
begriff doch, daß die Signora sie hinausschmiß, weil sie mit ihrem liederlichen
Treiben ihren Salon entweiht habe und dafür bezahlt wurde, jawohl bezahlt, an
der Tür. Die Padrona hatte es ganz genau gesehen.
Bettina antwortete mit ihrem
Engelslächeln und sagte auf deutsch: »Scher dich ‘raus, dummes Luder«, was die
Padrona wohl für eine Art Entschuldigung hielt, denn sie meinte einlenkend, sie
sei nun eben mal allergisch in puncto Moral, aber es gäbe in Rom eine Menge
anderer Pensionen, die es da nicht so genau nähmen. Dann präsentierte sie die
Rechnung. Bettina verglich den Tagespreis mit dem, der an der Tür
fliegenbeschmutzt mit rostigen Reißnägeln angeheftet war. Die Padrona hatte
sich erlaubt, einen kleinen Aufschlag zu verlangen, womit die Ehre ihres Salons
wiederhergestellt war.
Bettina ärgerte sich, aber sie
bezahlte. Dann kroch sie noch mal ins Bett. Sie räkelte sich. Jean Moulin, mein
süßer, kleiner Jean, mein zärtlicher, scheuer Galan, ich habe einen Traum von
der großen Liebe um dich gesponnen, und du wolltest mich an ein Freudenhaus
verschachern. Jeder sein eigener Narr! Sie begann vor Zorn und Kummer zu
heulen. Unten fuhren alte, scheppernde Lastwagen vorbei, die Männer von der
Müllabfuhr sangen, und aus einem Dutzend geöffneter Fenster dröhnte
Schlagermusik, zwei Frauen schrien sich über die Straße Familienklatsch zu. In
den Käfigen vor den Fenstern begannen die Vögel zu piepen. Rom war wach und
begann seinen Tag; aber natürlich begann er in einer Gasse von Trastevere
geräuschvoller als in den parkumfriedeten Hotels der besseren Wohnviertel.
Frank und Anna marschierten
schwitzend auf ihrem Bauplatz herum. Er bahnte für sie beide den Weg, bog
Büsche auseinander und fluchte.
»Das war Oleaster, da mußt du
vorsichtig sein«, sagte Anna. »Sticht fürchterlich.«
»Danke, ich habe es bemerkt.«
Er blieb stehen und leckte sich das Blut von den Händen. Dann befreite er seine
Hosenbeine von den Brombeerstauden, die sie umklammert hielten. »Es gibt so
schöne Plätze in der Schweiz. Im Tessin zum Beispiel«, sagte er. »In
kultivierten
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