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Ein Herzschlag bis zum Tod

Ein Herzschlag bis zum Tod

Titel: Ein Herzschlag bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara J. Henry
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bedacht, es allen recht zu machen.
    Es gab so vieles, was ich nicht wusste.

|113| 18
    Die Spätnachmittagssonne sandte ihre Strahlen in Pauls Zimmer und hieß uns willkommen, als wir über die Schwelle traten. Paul ging langsam umher und fuhr mit der Hand über die Möbelstücke. Er kniete sich neben einen offenen Karton, holte Spielzeug heraus und inspizierte es, als wollte er jedes Teil einzeln begrüßen:
Hallo, ich bin Paul. Ich bin wieder zurück.
Nachdem er den ersten Karton ausgeräumt hatte, zog er den nächsten heran und holte Kleidungsstücke heraus.
    Ich spürte die Gegenwart eines anderen Menschen und drehte mich um. Elise stand in der Tür und sah uns unsicher an. »Ich wusste nicht   …«, sagte sie leise. »Ich wusste nicht, ob seine Sachen noch passen. Aber wir haben alles aus Montreal mitgebracht.«
    Ich sah die beiden vor mir, Vater und Kindermädchen, wie sie Pauls Kleidung und Spielsachen in Kartons packten, die womöglich nie wieder geöffnet würden. Natürlich hatten sie nichts weggegeben, konnten es aber auch nicht auspacken. Vielleicht hätten sie sie Jahre später gespendet oder auf den Dachboden gestellt. Ich fragte mich, ob auch Madeleines Sachen in Kartons verstaut waren. Vielleicht in einem Wandschrank in Dumonds Zimmer.
    »Schon gut«, sagte ich sanft. »Es ist gut, wenn er sie hat, auch wenn sie nicht mehr passen. Er kann sie später selbst aussortieren.«
    Der Kummer in ihrem Gesicht war unerträglich. »Ich bin bei Paul, seit er ein Baby war«, flüsterte sie.
    |114| »Ich weiß. Ich weiß.« Mehr konnte ich nicht sagen. Sie schaute an mir vorbei, mit Tränen in den Augen, murmelte dann etwas von wegen Abendessen und ging wieder.
    Paul blickte auf. »Wie geht’s?«, fragte ich. »
Ça va?
«
    Er nickte feierlich und wandte sich wieder den Kleidungsstücken zu. Dann öffnete er einen Karton mit Büchern und blätterte jedes durch. Im Zimmer sah es allmählich aus wie auf einem Trödelmarkt. Ich deutete aufs Bücherregal, und Paul reichte mir nacheinander die Bücher.
    »Alles klar?«, fragte Dumond vor der Tür. Ich zuckte zusammen.
    »
Salut, Papa, je mets mes livres sur l’étagère «
, erwiderte Paul, ohne aufzublicken.
    »Das sieht aber eher aus, als würde Troy das Regal einräumen«, erwiderte er lächelnd. »Außerdem ist es höflicher, Englisch zu sprechen, wenn Troy dabei ist.« Er wiederholte seine Worte auf Französisch.
    Paul hockte sich auf die Fersen, schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht und lächelte. »Okay, Papa, ich versuche es.« Inmitten der Berge von Kleidung und Spielzeug sah er aus wie ein ganz normales Kind in einem unaufgeräumten Zimmer. Es schien undenkbar, dass er so lange weg gewesen war.
    Paul wühlte in dem Karton, als suchte er etwas ganz Bestimmtes. Dumond griff nach einem Spielzeugauto und ließ ein Rad kreisen. Sein Sohn verstaute das Spielzeug im Wandschrank und einer Schublade der Kommode, nicht aber in der großen Spielzeugkiste. Vielleicht wollte er so sein Zimmer kennzeichnen. Oder sein Spielzeug verstecken, sodass es niemand finden konnte.
    Es war Zeit fürs Abendessen.
    Wir saßen im eleganten Esszimmer. Elise servierte, aß aber nicht mit uns. Ich musste an alte Romane von Agatha Christie denken, in denen alle Leute Dienstboten hatten. Niemand hatte etwas dagegen, als Tiger sich brav unter den Tisch legte.
    |115| Paul aß einen Teller Rindfleischsuppe und zwei dampfende Brötchen mit Butter. Anscheinend hatte Elise ihre ungenutzte Kindermädchen-Energie ganz aufs Kochen gerichtet. Als der Hauptgang aufgetragen wurde – Lachs mit Brokkoli   –, starrte Paul auf seinen Teller und sah uns beide unglücklich an. Dabei rutschte er auf dem Stuhl herum.
    »Was ist los?«, wollte sein Vater wissen.
    »Papa, ich kann nichts mehr essen«, flüsterte er.»
Je n’ai pas faim maintenant. Est-ce que je peux le garder pour plus tard?
« Eine einzelne Träne rann über seine Wange.
    Die Sekunde der Stille wurde unterbrochen, als Dumonds Stuhl über den Boden schabte. Dann war er bei Paul und nahm sein Gesicht in seine Hände.
    »Natürlich kannst du es dir für später aufheben. Kein Grund, traurig zu sein. Elise wird verstehen, dass du satt bist.« Er wiederholte seine Worte auf Französisch. »Wir bringen es zu Elise in die Küche und bitten sie, es in den Kühlschrank zu stellen.« Er nahm den Teller und ging mit Paul in die Küche.
    Ich zupfte an einem Brötchen herum. Plötzlich war mir der Appetit vergangen.
    Dumond kam allein zurück

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