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Ein Herzschlag bis zum Tod

Ein Herzschlag bis zum Tod

Titel: Ein Herzschlag bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara J. Henry
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und setzte sich wieder. »Elise bringt ihn jetzt ins Bett. Ich hätte wissen müssen, dass er keine großen Mahlzeiten mehr gewöhnt ist. Aber ich verstehe nicht, weshalb er so durcheinander war.«
    Ich überlegte, wie ich das erklären sollte. »Er war lange weg. Er möchte es Ihnen recht machen.«
    Er runzelte die Stirn, schien mich nicht zu verstehen.
    Ich versuchte es noch einmal. »Die Entführer haben ihm eingeredet, dass Sie ihn nicht wollen. Vermutlich haben sie gesagt, Sie seien wütend auf ihn oder liebten ihn nicht. So etwas machen diese Leute. Sie sagen den Kindern, dass ihre Eltern sie nicht wollen oder tot sind.« Ich hatte ja diese schrecklichen Artikel gelesen.
    Dumond schloss die Augen. Gewiss stellte er sich vor, wie |116| Paul sich in seinem Gefängnis fragte, weshalb sein Vater ihn nicht rettete. Mit sechs Jahren hält man seinen Vater noch für allmächtig.
    »Glaubt er etwa, ich hätte ihn nicht gewollt, ich hätte nicht nach ihm gesucht? Ich hätte nicht alles gegeben, um ihn zurückzubekommen?« In seiner Stimme mischten sich Qual und Zorn.
    Ich kämpfte mit den Tränen. »Das haben die ihm erzählt«, flüsterte ich. »Er hat monatelang nichts anderes gehört. Kinder glauben immer, dass schlimme Dinge ihre Schuld seien.«
    Er saß lange schweigend da. »Sie haben keine Kinder.« Es war keine Frage.
    »Nein.« Ich erwähnte nicht die Kinder meiner Schwestern oder die Kinder im Heim oder andere, die ich kannte. Auch sagte ich nicht, dass ich Paul momentan ein wenig besser verstand als er oder dass der Paul, den er zurückbekommen hatte, nicht dasselbe Kind war, das er vor Monaten verloren hatte. Dass er vielleicht nie wieder dasselbe Kind sein würde. Möglicherweise wusste er es selbst.
    Er griff zur Gabel. »Ich werde Paul sagen, dass die Männer gelogen haben. Dass ich immer nach ihm gesucht habe. Der Kinderarzt soll mir einen Therapeuten oder Psychologen oder was auch immer empfehlen.« Er aß einige Bissen, bevor er weitersprach. »Und Sie, was haben Sie geglaubt?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Als Sie mich aufgesucht haben. Sie hätten ja auch anrufen oder die Polizei bitten können, mich zu kontaktieren. Stattdessen sind Sie selbst nach Ottawa gekommen.«
    Der Lachs, der so köstlich geschmeckt hatte, fühlte sich plötzlich wie Styropor an. Ich schluckte mühsam. »Ich wusste nicht, ob ich Ihnen vertrauen konnte.«
    Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
    »Ich wusste nicht   … ob Sie irgendetwas damit zu tun hatten.« Er wirkte schockiert, und ich bereute meine Ehrlichkeit. |117| »So etwas kommt vor. Leute wollen aus ihrer Ehe ausbrechen, keine Alimente zahlen, was auch immer. Also arrangieren sie so eine Geschichte.«
    Dumond starrte mich an.
    »Ich kannte Sie doch nicht.« Meine Stimme wurde lauter. »Mein Bruder ist Polizist. Er kann Geschichten erzählen, bei denen Ihnen die Haare zu Berge stehen.«
    Wir beendeten das Essen schweigend. Der Brokkoli war kalt, aber wir aßen ihn trotzdem. Den Nachtisch ließen wir aus und gingen zusammen mit Tiger zu Paul.
    Er sah frisch gewaschen aus, sein feuchtes Haar war ordentlich gekämmt. Er trug ein neues T-Shirt und eine enge Schlafanzughose, die Elise wohl bei seinen alten Sachen gefunden hatte. An Schlafanzüge hatte ich nicht gedacht, vermutlich weil ich selbst keine besitze. Ich schlafe in T-Shirt und einer alten Sporthose, im Winter im Jogginganzug. Ich umarmte Paul.
    »Schlaf gut, Cowboy. Wir sehen uns morgen früh.« Er überraschte mich mit einem winzigen Kuss auf die Wange.
    Dann trat Dumond zu ihm, kitzelte ihn, beugte sich über ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Paul lächelte glücklich und schläfrig. Sein Vater legte sich neben ihn auf das schmale Bett.
    »Ich bleibe bei ihm, bis er eingeschlafen ist.«
    Ich nickte und wandte mich zum Gehen. Er war Pauls Vater, ich nur eine Art vorübergehendes Kindermädchen. Was hatte ich erwartet?
    An der Tür hielt mich seine Stimme noch einmal zurück. »Ich danke Ihnen, Troy.«
    Ich drehte mich um und sah ihn neben seinem Sohn liegen, die dunklen Köpfe dicht beieinander. Paul hatte die Augen geschlossen und sah aus wie ein entspannter kleiner Engel. Dumond wirkte erschöpft, aber friedlich.
    Vielleicht gehörte ich nicht in diese Szene, doch ohne mich hätte es sie nie gegeben.

|118| 19
    Am Morgen wirkte alles halbwegs normal, jedenfalls stellte ich mir das normale Leben in einem Haushalt mit einem kleinen Kind und einer Haushälterin so vor. Wir aßen warme Haferflocken,

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