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Ein Herzschlag bis zum Tod

Ein Herzschlag bis zum Tod

Titel: Ein Herzschlag bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara J. Henry
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er, ich verstünde ihn nicht   –, während Philippe unerschütterlich auf Englisch antwortete. Das Abendessen zog sich endlos hin, und noch vor dem Nachtisch fragte Paul, ob er aufstehen dürfe.
    »Morgen fängt die Schule an«, fügte ich hinzu, um das Schweigen zu füllen.
    Claude nahm kleine, präzise Bissen von seinem Käsekuchen, als auch Philippe sich erhob. »Entschuldigt bitte. Ich muss noch nach Paul sehen.«
    Ich geriet fast in Panik, als er mich mit seinem Schwager allein ließ, der mir ziemlich unsympathisch war, ohne dass ich genau sagen konnte, weshalb.
    Als Claude sich an mich wandte, sträubten sich mir die Haare. »Ich bin mir nicht ganz über Ihre Verbindung im Klaren«, sagte er freundlich.
    »Verbindung?«
    »Zur Familie.« Er trank Kaffee und sah mich beinahe spöttisch an. »Arbeiten Sie hier?«
    »Oh, nein, ich wohne nur hier, bis Paul sich eingelebt hat. Ich helfe ein bisschen.«
    »Erstaunlich, dass er so lange nach der Entführung wieder aufgetaucht ist. Sie haben ihn also gefunden?«
    Ich nickte. »Ja, das habe ich.« Ich wartete auf eine Reaktion, aber sein Gesicht blieb reglos. Ich weiß, dass die meisten Gewaltverbrechen innerhalb von Familien begangen werden. Claude war mir ganz klar unheimlich.
    »Mein kleiner Neffe scheint sehr an Ihnen zu hängen.«
    »Ja, ich habe ihn auch sehr gern.«
    »Und Philippe.« Er lächelte. Die Anspielung war unüberhörbar. Jetzt ging es ans Eingemachte.
    Ich rief mir ins Gedächtnis, dass seine Schwester eines tragischen Todes gestorben war. Dass er Pauls Onkel war. Also zwang ich mich zu einem Lächeln. »Ja, Philippe auch.«
    |198| Zum Glück kam jetzt Philippe zurück. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Paul ist ziemlich aufgeregt wegen der Schule.« Er und Claude unterhielten sich über die Arbeit, und mir fielen fast die Augen zu. Als der Gast sich endlich erhob, sagte er im Gehen etwas auf Französisch, das ich nicht verstand. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, seufzte ich tief. Philippe lachte.
    »Tut mir leid.« Ich war entsetzt, dass ich meine Erleichterung so deutlich gezeigt hatte.
    »Nein, nein, schon gut. Claude ist kein großer Redner, wenn es nicht gerade ums Geschäft geht, und er wollte sich unbedingt ein Bild von dir machen. Außerdem hat ihn Madeleines Tod tief getroffen. Sie standen einander nahe – sie haben ihre Eltern verloren, als sie noch sehr jung waren. Tut mir leid, dass du dich unbehaglich gefühlt hast.«
    Natürlich war es nicht einfach für Claude gewesen, mit seinem Schwager, seinem Neffen und mir am Tisch zu sitzen, während seine Schwester fehlte. Dass sie keine Eltern gehabt hatten, machte es noch schwerer, und ich bereute schon mein fehlendes Mitgefühl. Bei der ersten Begegnung zwischen ihm und Paul hatte ich wirklich nichts zu suchen gehabt. Ich glaube, darin hatte Philippe sich geirrt.
    Aber er hatte auch noch nie so viel über seine Frau erzählt.
     
    An diesem Abend hatte Paul einen Albtraum und schrie: »
Non, non, non!
« Philippe arbeitete noch im Büro. Ich las in meinem Zimmer und war zuerst bei Paul. Als ich ihn in die Arme nahm, schrie er noch immer.
    »Liebling, Liebling, es ist gut, alles ist gut«, murmelte ich und rieb ihm den Rücken, während seine Schreie zu einem feuchten Wimmern an meinem Hals erstarben. »Das war nur ein Albtraum   …
un cauchemar.
«
    »
Maman «
, flüsterte er verzweifelt. Ich verspürte einen scharfen Schmerz. Er verwechselte mich nicht mit seiner Mutter – er |199| rief nach der Frau, die ihn nie wieder im Arm halten würde. Ich hatte mich geirrt, er vermisste seine Mutter also doch.
    »Paul, Paul, Paul«, sagte ich und wiegte ihn hin und her. Inzwischen war Philippe gekommen, und ich überreichte ihm das schlaffe, tränenüberströmte Bündel. Dann ging ich wieder und las, bis mein Gehirn so betäubt war, dass ich einschlafen konnte.

|200| 31
    Am nächsten Morgen hatte Paul dunkle Ringe unter den Augen und war ganz aufgeregt wegen der Schule. Ich bewunderte seine Schultasche, die blaue Hose, das Polohemd und den Blazer und machte Fotos mit meiner kleinen Kamera. Natürlich braucht man Fotos von seinem ersten Schultag. An Philippes Stelle wäre es mir schwergefallen, mich in den ersten Tagen nicht hinten im Klassenzimmer zu verstecken.
     
    Nachdem sie gefahren waren, kehrte ich in mein Zimmer zurück. Ich war niedergeschlagen, wusste aber nicht genau, warum. Jedenfalls lag es nicht nur an Claudes Besuch; allmählich kam es mir vor, als

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