Ein Herzschlag bis zum Tod
graviert.« Sein Gesicht fiel in sich zusammen, und er setzte sich mit dem Rücken zu mir an den Schreibtisch.
Er blieb lange so sitzen, das Gesicht in den Händen vergraben. Schließlich richtete er sich wieder auf. »Ich muss nach |239| Montreal fahren, um die Leiche zu identifizieren und mit der dortigen Polizei zu sprechen. Jameson kommt mit.«
»Was willst du Paul sagen?«
Philippe griff nach dem Telefon und wählte eine Nummer. »Ich will es ihm erst sagen, wenn ich sicher weiß, dass sie es ist. Aber ich muss ihm erklären, warum Jameson gleich vorbeikommt.« Er sagte der Empfangsdame Bescheid, dass er nicht ins Büro kommen würde. Ich fragte mich, ob er Claude sofort informieren oder die Identifizierung abwarten würde. Oder ob die Polizei den Bruder schon verständigt hatte.
Ich ging nach unten und trank einen Schluck Kaffee, an dem ich mir fast den Mund verbrühte. Ich lächelte Paul zu und knabberte an einem Muffin. Kurz darauf kam Philippe herein, und Paul blickte neugierig hoch.
»Paul, ich muss heute der Polizei helfen«, sagte er.
»Um nach den bösen Männern zu suchen?«, wollte Paul wissen und steckte sich eine Blaubeere aus seinem Muffin in den Mund.
»Nun, ja.« Philippe holte tief Luft. »Um vielleicht herauszufinden, was mit deiner Mutter passiert ist.«
Paul sah ihn ruhig an. »Ich habe gehört, wie die bösen Männer sie erschossen haben.«
Wir erstarrten. Zum ersten Mal hatte Paul freiwillig etwas über die Entführung erzählt.
»Ich weiß, Paul«, sagte Philippe. »Aber wir möchten versuchen, sie zu finden. Vielleicht … können wir sie herholen und beerdigen.«
»Wenn man stirbt, geht das Innen …
votre esprit
… weg.« Paul bewegte seine Hand, als wäre sie ein kleiner Vogel.
Philippe konnte nichts sagen. Ich erwiderte sanft: »Ja, dein Geist und deine Seele gehen weg, und dein Körper bleibt zurück wie eine leere Hülle.«
»Und die legt man in die Erde?«
»Ja. Und dann stellt man etwas auf, vielleicht einen Stein, |240| mit dem Namen der Person, damit man sich an sie erinnern kann.« Paul nickte und biss in seinen Muffin.
Dann klingelte es an der Tür. Elise führte Jameson herein, der auf der Schwelle stehen blieb. »Möchten Sie einen Kaffee?«, fragte sie besorgt. Sie wusste, dass etwas Schlimmes passiert sein musste.
Jameson lehnte ab. Seine Augen wanderten durchs Zimmer, registrierten die Reste des Frühstücks, bewegten sich an Philippe und Paul vorbei zu mir. Er nickte brüsk. Ich nickte zurück, meine Kehle war wie zugeschnürt. »Wir müssen los«, sagte er zu Philippe.
Dieser nickte und stellte die Tasse ab. Dann umarmte er Paul und erklärte, ich würde ihn heute zur Schule fahren. »Ich melde mich«, sagte er zu mir.
Als Philippe einige Stunden später anrief, teilte er mir mit, dass es sich tatsächlich um die Leiche von Madeleine handelte. Es sollte allerdings eine Weile dauern, bis ich mehr erfuhr. Jameson kam ans Telefon und wies mich an, um halb drei mit Elise bei der Polizei in Ottawa zu sein.
»Aber ich muss Paul von der Schule abholen.«
»Das wird Monsieur Dumond übernehmen.«
»In Ordnung.« Als ich einhängte, blickte ich Elise an. »Man hat die Leiche von Mrs. Dumond gefunden. Wir sollen um halb drei auf der Polizeiwache sein.«
Sie murmelte etwas auf Französisch, das ich nicht verstand, und schaltete dann wieder auf Englisch um. »Warum wollen die mit uns reden?« Zwei graue Strähnen hatten sich gelöst und rahmten ihr besorgtes Gesicht ein.
»Um herauszufinden, ob wir etwas wissen, nehme ich an. Ob Sie sich an etwas aus der Vergangenheit erinnern, an Leute, die Madeleine kannten.«
Wir versuchten uns beide abzulenken. Elise schrubbte die Küchenschränke, und ich ging mit Tiger spazieren. Als es Zeit |241| war, fuhren wir zur Wache. Ein Polizeibeamter nahm Elise mit, und kurz darauf tauchte Jameson auf und führte mich in sein vollgestopftes Büro. Ich setzte mich.
»Besitzen Sie eine Schusswaffe?«
»Nein.«
»Haben Sie jemals eine Schusswaffe besessen?«
»Nein.«
»Haben Sie jemals eine Schusswaffe abgefeuert?«
»Nein. Jedenfalls nicht, seit ich ein Kind war. Damals habe ich ein einziges Mal mit einer Schrotflinte auf eine Zielscheibe geschossen.« Ich war etwa acht gewesen, und der Rückstoß hatte mich fast zu Boden geschleudert.
Er musterte mich. »Sind Sie Madeleine Dumond jemals begegnet?«
»Nein. Ich meine, nein, ich glaube nicht, jedenfalls nicht bewusst.« Ich redete unwillkürlich
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