Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
schaut auf den drei Viertel der Seite einnehmenden leeren Raum für ›Bemerkungen und Vorschläge‹. Er unterdrückt den Drang zu schreiben: Warum klatscht ihr euch dieses Formular nicht vor den Arsch?
LaPointe fühlt sich heute unsicher und angeschlagen. Beim Zähneputzen hatte er eine größere crise. Zuerst das zischende Blut, dann krampften heftige Wellen stechender Schmerzen ihm Brust und Oberarme zusammen. Er sah sich vornüber in einen grauen Nebel fallen, in welchem Lichter explodierten. Als es vorüber war, lag er auf den Knien, mit der Stirn auf dem Klodeckel. Als er sich die Zähne zu Ende putzte, frotzelte er sich: Ich glaub', du kaufst dir lieber eine leichtere Zahnbürste, LaPointe.
»Morgen ist mein letzter Tag«, sagt Guttmann.
»Was?«
»Ab Mittwoch arbeite ich wieder bei Kommissar Gaspard.«
»So?« Das klingt unverbindlich. Es hat ihm Spaß gemacht, mit seinem Revier und den Menschen dort vor dem Jungen zu glänzen. Es hat ihm sogar Spaß gemacht, wie Guttmann seine Verachtung für die großartigen neuen College-Ideen durchgestanden hat. Aber das wird nicht genug sein, um den Jungen wirklich zu vermissen.
»Wie war's denn gestern abend?« fragt er. Konversation ist immer noch besser als der gottverdammte Papierkram.
»Wie's war, Sir? Ach, mit Jeanne?«
»Wenn sie so heißt.«
Guttmann lächelt in der Erinnerung. »Also, ich kam natürlich zu spät. Und zuerst hat sie mir nicht geglaubt, als ich ihr sagte, ich hätte mit drei Männern im Hinterzimmer eines Polstergeschäftes Pinochle gespielt. Selbst mir klang das ziemlich fadenscheinig.«
»Ist es wichtig, was sie denkt?«
Guttmann denkt eine Sekunde lang darüber nach. »Ja. Sie ist ein netter Mensch.«
»Aha. Nicht nur ein Mädchen. Nicht nur ein Häschen.«
»So hat's natürlich angefangen. Und ich bin weiß Gott kein Kostverächter. Aber es ist mehr. Wir passen irgendwie zusammen. Das läßt sich schwer erklären, denn ich glaube nicht, daß wir immer einer Meinung sind. Im Grunde sind wir das nie. Es ist etwa so wie ein Prägestock und eine Münze, wenn Sie wissen, was ich meine. Die sind auch völlig gegensätzlich und passen doch vollkommen zusammen.« Kaum merklich ändert sich sein Ton, und er denkt jetzt eher über diese Beziehung laut nach, als daß er zu LaPointe spricht. »Sie ist der einzige Mensch, den ich kenne, der … ich meine, ich muß mich nicht verstellen, wenn ich mit ihr spreche. Ich sage einfach, wozu ich gerade Lust habe, und es ist mir egal, ob das nicht ganz richtig oder dumm klingt. Sie wissen, was ich meine, Sir?«
»Wie haben Sie sie kennengelernt?«
Guttmann versteht nicht, warum LaPointe das interessiert, aber er freut sich über den ungewöhnlich freundschaftlichen Ton ihres Plausches. Er hat keine Ahnung, daß der Lieutenant nur deshalb so gelöst mit ihm redet, weil er ab morgen nichts mehr mit ihm zu tun hat. »Nun, ich sagte Ihnen ja schon, sie wohnt mit mir im gleichen Haus. Wir sahen uns zum erstenmal im Keller.«
»Klingt ganz romantisch.«
Guttmann lacht. »Jaaa. Da unten steht ein ganzer Haufen Münz-Waschautomaten. Es war schon spät nachts, und wir waren allein und warteten, daß die Wäsche fertig war, und da haben wir uns unterhalten.«
»Worüber?«
»Ich weiß nicht mehr. Seife, vielleicht. Mein Gott, ich weiß es nicht mehr.«
»Ist sie hübsch?«
»Hübsch? Nun ja. Ich glaub' schon. Ich meine, ich finde sie attraktiv. Diese erste Nacht im Keller hab' ich nicht weiter gedacht als bis zum Bett. Aber hübsch ist eigentlich nicht das Wesentliche an ihr. Wenn ich mir einen Wesenszug an ihr rauspicken müßte, dann wäre es ihr irrer Sinn für Humor.«
LaPointe schnieft und schüttelt den Kopf. »Das klingt ja gefährlich. Ich weiß noch, wie ich ganz frisch bei der Polizei war, da ging ich öfter mal zu 'ner Kuppel-Party, die Freunde von mir arrangiert hatten. Und immer, wenn sie mir mein Mädchen als ›guten Plauderer‹ oder als ›Kind mit viel Sinn für Humor‹ geschildert hatten, stellte sich heraus, daß sie eine miese Ente war. Was ich damals meist suchte, war eine Sau und keine Ente.«
Eine Sekunde lang versucht Guttmann, sich den Lieutenant als jungen Schutzmann vorzustellen, der auf Kuppel-Parties geht. Das will ihm allerdings nur schlecht gelingen.
»Ich weiß, was Sie meinen«, sagt er. »Aber wissen Sie, was noch viel schlimmer ist?«
»Was?«
»Wenn der Knabe, der einen einlädt, über dein Mädchen nichts anderes zu sagen weiß, als daß sie hübsche Hände
Weitere Kostenlose Bücher