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Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Titel: Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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lesen. Er hat die Bände immer und immer wieder gelesen, und es kommt ihm nicht mehr darauf an, wo er anfängt und wo er aufhört. Schon bald blicken seine Augen durch die Seite hindurch.
    Bilder steigen, teils scharf, teils verwaschen, in seinem Gedächtnis in willkürlicher Folge auf. Unaufgedröselt schiebt sich aus der Vergangenheit ein Faden zu ihm hin, und er zupft mit behutsamer Hingabe daran, zieht Menschen und Ereignisse daraus hervor, die so tief in das Gewirk der Vergangenheit verwoben waren, daß sie ihm fast vergessen schienen. Dieser Wachtraum hat nichts von Traurigkeit oder Bedauern; er hat etwas von Neugier. Sobald er sich eines Momentes oder eines Gesichtes erinnert und sich mit ihm auseinandergesetzt hat, kehrt es nicht mehr zurück. Er prüft das Bruchstück und läßt es fallen. Selten erinnert er sich an dasselbe zweimal. Dazu ist keine Zeit.
    Einige Bilder kommen aus seinem wirklichen Leben: Trois Rivières; er als Kind, das auf der Straße spielt; sein Großvater; das St.-Joseph-Heim; Lucille; die gelbe Hinterhofkatze mit dem abgeknickten Schwanz, die eine Pfote in der Luft.
    Andere Erinnerungen kommen, nicht weniger lebhaft, aus seinem imaginären Leben in dem Haus in Laval mit Lucille und den Mädchen. In diesen Bildern stecken die meisten Einzelheiten: seine Werkstatt in der Garage mit den hochgebogenen Nägeln als Halterungen für die Werkzeuge und den schwarzen Strichen, damit man weiß, welches Werkzeug wo hingehört. Die heilige Kommunion der Mädchen, ganz in Weiß mit silbernen Rosenkränzen als Geschenken, die Fotos, für die sie mit widerwilliger Steifheit posierten. Er sieht die Jüngste – den Schelm – mit dem aufgeschlagenen Knie unter dem dünnen weißen Kommunionsstrumpf …
    Er schnieft und steht auf. Die ausgespülte Tasse wird auf den Geschirrtrockner gestellt, wo sie stets hinkommt. Er reinigt die Espressomaschine und stellt sie dahin, wo sie immer steht. Dann geht er ins Badezimmer, um sich zu rasieren, wie stets, bevor er ins Bett geht. Als er die schwarzen Bartstoppeln runterspült, bemerkt er ein paar lange Haare im Waschbecken. Sie muß sich die Haare gewaschen haben, bevor sie ging. Und sie hat sie nicht ordentlich weggespült. Liederliches Ding.
    Er sitzt auf dem Bettrand und zieht sich die Schuhe aus, als ihm ein Gedanke kommt. Er schlurft ins Wohnzimmer und zieht die Schublade auf, wo er ungezählt sein Haushaltsgeld aufbewahrt. Da liegt ein Bündel Zwanziger und ein paar Zehner. Er weiß nicht, wieviel überhaupt drin war. Vielleicht hat sie sich was genommen. Aber das ist unwichtig. Wichtig ist, daß sie was dagelassen hat.
    Er liegt in der Mitte des Bettes auf dem Rücken und schaut an die von der Straßenlaterne unter dem Fenster angestrahlte Decke. So groß wie heute ist ihm das Bett noch nie vorgekommen.
    Guttmann hämmert auf der Reiseschreibmaschine, als LaPointe mit einem Begrüßungsgrunzer reinkommt und seinen Mantel auf den Holzständer hängt.
    »Langsam sehe ich Licht am Ende des Tunnels, Sir.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Von diesen Berichten.«
    »Ach, mein lieber Junge, Sie haben eine große Zukunft im Department. Wichtig ist hier nur der Papierkram.« LaPointe nimmt ein gelbes Telefon-Memo von seinem Schreibtisch. »Was ist das?«
    »Ein Anruf für Sie. Ich hab's aufgeschrieben.«
    »Hm.« Der Anruf kam von Carrot. Sie hat ihre Gäste ausgefragt, wer von ihnen mit Tony Green durch die Bars gezogen sei. Offenbar hat er nur ein Lokal regelmäßig besucht, und zwar das Happy Hour Whisky à Go-Go in der Rachel Street. LaPointe kennt es, liegt nur einen Häuserblock von der Main weg. Er will auf seinem Heimweg heute abend da mal vorbeischauen. Die Spuren werden magerer; die hier ist die letzte.
    »Sonst noch was?« fragt er.
    »Ein Anruf für Sie von oben. Der Chef möchte Sie sprechen.«
    »Das ist ja großartig.« Er setzt sich an seinen Schreibtisch und überfliegt den Frühbericht: ein paar Autodiebstähle, zwei Raubüberfälle, ein Erschossener in einer Bar in Ost-Montreal, noch ein Raubüberfall, ein ausgerissener Teenager … alles Routine. Nichts Interessantes, nichts von der Main.
    Er fängt an, seinen Arbeitsbericht für gestern aufzusetzen. Was hat er gestern gemacht? Was soll man da hinschreiben? Mit Bouvier Kaffee getrunken? Mit Candy Al Canducci gesprochen? In den Straßen rumgelaufen? Pinochle gespielt? Mit Moische ein Glas Tee getrunken? Nach Hause gegangen und das Bett größer als sonst gefunden? Er dreht das grüne Formular um und

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