Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
liegt.
Der Mann mit dem Spitzbart mahlt mit den Zähnen und rollt mit den Augen.
Sie gehen nebeneinander die Rachel runter in Richtung Main, vor sich das leuchtende Kreuz, das vom Gipfel des Mount Royal für das Christentum wirbt.
»Es ist noch ziemlich früh«, sagt Guttmann, »möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
LaPointe spürt, daß der junge Mann reden will, aber ihm ist nicht danach, ihm ist alles zuviel. »Nein, danke. Ich möcht' nach Hause. Ich bin müde.«
Schweigend gehen sie weiter.
»Dieser Green«, murmelt Guttmann.
»Was?«
»Ich meine – das ist ja widerlich.«
»Nicht widerlicher als die Tänzerin.«
»Bitte?«
»Das Mädchen ist ihre Tochter.«
Guttmann läuft mechanisch weiter, Augen geradeaus, die Fäuste in den Manteltaschen geballt. Sie überqueren die St. Laurent, wo LaPointe stehenbleibt und sich verabschiedet. »Sie sind heute abend mit Ihrem Mädchen verabredet?« fragt er.
»Ja, Sir. Nichts Besonderes. Wir hocken nur zusammen und reden über dies und jenes.«
»Zum Beispiel über die Zukunft?«
»So in der Art. Können Sie mir verraten, Lieutenant, ob man die Polizistenlaufbahn durchstehen und dann noch irgendwas anderes als Ekel vor der Menschheit empfinden kann?«
»Ein paar soll's geben.«
»Sie?«
LaPointe prüfte das ernste, schmerzliche Gesicht des Jungen.
»Bis morgen früh dann.«
»Klar.«
12
Zwei Tage vergehen. Guttmann ist zu Kriminalkommissar Gaspard zurückgekehrt, um seinen Dienst als Joan abzuschließen.
Wenn sich im Falle Green, so heißt es unten in der Mordkommission, keine neuen Spuren ergeben, wird man den Fall zu den Akten legen.
Das schlechte Wetter lastet weiter auf den Gemütern und zerrt an den Nerven. Auf der Main geht ein Gerücht, wonach durch die Atomversuche der Amerikaner und Russen die polare Eisdecke nicht wiedergutzumachende Schäden erlitten habe und das Wetter nie wieder normal werden würde.
LaPointes Zeit und Aufmerksamkeit wird durch die typischen Probleme der Main in Anspruch genommen. In Mr. Rothmanns Metzgerladen ist eingebrochen worden. Der Zeitungsverkäufer an der Ecke Rue Roy ist wegen acht Dollar und fünfunddreißig Cents überfallen worden. Und der Bautrupp, der einen Block von Reihenhäusern abreißt, damit an der Stelle ein Parkhochhaus gebaut werden kann, entdeckt eines Morgens auf der Baustelle schwere Zerstörungen an Maschinen und Material. Auf eine verwitterte Ziegelmauer hat der Vandalentyp die Worte gepinselt:
H IER WOHNTEN EINMAL 182 M ENSCHEN
Bei dem Einbruch bei Rothmann ist nichts gestohlen worden. Nur Schloß und Türrahmen wurden beschädigt. Wahrscheinlich irgendein Tramp von der Straße oder ein obdachsuchender amerikanischer Kriegsdienstverweigerer, der der feuchten Nachtluft entgehen wollte.
Und wieder ermahnt LaPointe Mr. Rothmann, Polizeispezialschlösser anzubringen, und wieder meint Mr. Rothmann, die Polizei müßte dafür aufkommen. Schließlich ist er Steuerzahler, oder etwa nicht?
Anders liegt der Überfall auf den Zeitungsverkäufer. LaPointe drängt auf schnelle Aufklärung, weil ihm klar ist, daß jemand dabei getötet worden sein muß. Nicht das Opfer; der Räuber.
Der Zeitungsverkäufer konnte lediglich die Schuhe und die Beine des Räubers beschreiben, und den Revolver. Tennisschuhe, ausgestellte Jeans. Ein Halbwüchsiger. Und ein schwarzer Revolver mit einem kleinen Loch im Lauf. Das kleine Loch bedeutet, daß die Waffe eine der täuschend echt nachgemachten Wasserpistolen war, über die bei der Polizei von Montreal immer wieder Beschwerden einlaufen, die zu nichts führen. Aber schließlich sind diejenigen, die sie an Halbwüchsige verkaufen, Steuerzahler, oder etwa nicht? Dies ist ein freies Land, oder?
LaPointe erledigt zwei Telefonate und spricht mit vier Leuten auf der Straße. Dann ist klar: Der Lieutenant will diesen Bengel haben, und zwar sofort. Wenn er ihn nicht bis zum Mittag hat, wird die Straße bald ein heißes Pflaster sein.
Zweieinhalb Stunden später sitzt LaPointe in der kleinen Küche einer Kellerwohnung dem Dieb und seinen Eltern gegenüber. Der Vater muß gestehen, daß er nicht begreift, was, zum Teufel, mit diesen gottverdammten Bengels heutzutage eigentlich los ist. Die Mutter sagt, sie arbeite sich die Finger blutig, sehe nichts anderes als nur immer diese vier Wände, und was sei der Dank? Man trägt sie neun Monate unter dem Herzen, gibt ihnen zu essen, schickt sie zur Messe, und was hat man davon?
Der Junge sitzt am Küchentisch und kratzt am
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