Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Kaffeemaschine eine Tasse ein, wobei er, um zu merken, wann sie voll ist, den Finger in die Tasse krümmt.
»Sind Sie's, Claude? Kommen Sie rein und lassen Sie sich von einem meiner Geistesblitze imponieren, dieses Mal auf den Fall jenes Antonio Verdini, alias Green, geschleudert, welcher eines Nachts in einer Seitenstraße mit einer biologisch gesehen überflüssigen und dennoch verderblichen kleinen Öffnung entdeckt worden ist.«
LaPointe grunzt, ihm ist heute nicht nach Bouviers blumigem Stil. »Meine geniale Aktenordnung« – Bouvier deutet auf seinen überladenen Schreibtisch – »hat die interessante Tatsache zutage gefördert, daß Mr. Greens ungewöhnlicher Appetit auf Luftveränderung« – er stößt seinen Kopf in Richtung LaPointe und macht eine effektvolle Pause – »von den Opfern zweier anderer ungelöster Mordfälle geteilt wurde.«
»Aha?«
»Ich habe irgendwie mehr als ein ›Aha‹ erwartet.«
»Was denn für Fälle?«
»Männer, die dem Department, und somit auch Gott, als H-49.854 und H-50.567 bekannt sind, ihren intimen Freunden jedoch als MacHenry, John Albert, und Pearson, Michael X. Das X zeigt an, daß ihm seine Eltern keinen zweiten Namen gegeben haben, zweifellos im Geiste orthographischer Ökonomie.« Bouvier hält LaPointe die beiden Aktenordner hin und starrt ihn mit einem Riesenauge und einem nikotinfarbigen blinden voller Stolz an. Der Lieutenant überfliegt kurz die Berichte und liest sie dann eingehender. Es sind Bouviers persönliche Akten, sie sind umfangreicher als die offiziellen Berichte, weil sie auch Zeitungsausschnitte, relevante Zusatzinformationen und irgendwelche in seiner großen verschlungenen Handschrift hingekritzelte Notizen enthalten.
Der eine Ordner ist sechs Jahre alt, der andere zweieinhalb. Beidemal wurde das Opfer erstochen, beidemal handelte es sich um Männer, beidemal wurde nichts gestohlen, beide starben nachts auf ausgestorbenen Straßen.
»Na?« weidet sich Bouvier.
»Könnte sich um zufällige Übereinstimmungen handeln.«
»Auch der Mißerfolg hat seine Grenzen. Beachten Sie, daß beide Fälle sich an den Grenzen dessen abspielten, was Sie Ihr Revier nennen – wenn ich auch höre, daß es da zwischen Ihnen und den hohen Herren einige Meinungsverschiedenheiten über das Ausmaß Ihres Reiches und die Befugnisse seines Monarchen gibt.«
»Was soll das hier heißen?« LaPointe legt einen der Berichte auf Bouviers Schreibtisch und hält den Finger auf eine in des Doktors Schrift gekritzelte Stelle.
Bouvier drückt den Steg seiner zerbrochenen Brille an die Nasenwurzel, damit sie nicht runterrutscht, und beugt sich mit dem Gesicht dicht über die Seite. »Ah! Technische Beschreibung der Wunde. Eintrittswinkel der Waffe.«
»Identisch in allen drei Fällen?«
»Nein. Nicht ganz.«
»Also, wie dann?«
»Daran erkennen Sie den Anflug meines Genies! Die Eintrittswinkel sind nicht identisch. Sie variieren. Sie variieren je nach der Körpergröße der drei Männer. Wenn Sie Ihr Spielchen mit der Zufälligkeit weiterspielen wollen, müssen Sie akzeptieren, daß es drei Killer gleicher Größe gab, die außerdem das Messer in gleicher Weise hielten, und daß alle drei im Gebrauch von Messern hochbegabt gewesen sind. Und wenn Sie Zufälle mit dem überschäumenden Temperament eines viktorianischen Romanciers anhäufen wollen, was halten Sie davon? Pearson, Michael X. hat kurz vor seinem Tod beigeschlafen. Und wieder diese schlechte Angewohnheit, sich nicht danach zu waschen. Ein Professor von der McGill-Universität obendrein. Man sollte meinen, der müsse es besser wissen. Der andere Knabe, MacHenry, John Albert, war Amerikaner, der geschäftlich hier zu tun hatte. Alles spricht dafür, daß auch er beigeschlafen hat, kurz bevor er den Staub des Universums mit seinem ureigenen Staub bereicherte. Er wusch sich binnen einer Stunde vor seinem Tod. Kein Vollbad, nur gerade an entsprechender Stelle. Da haben Sie den amerikanischen Geschäftsmann! Zeit ist Geld.«
»Kann ich die beiden mitnehmen?« fragt LaPointe rhetorisch und ist mit den Berichten bereits unterwegs.
»Aber denken Sie daran, sie mir wiederzubringen. Ich vertrage keine Unordnung in meinen Akten!« ruft Bouvier ihm nach.
Gelesen und erneut gelesen, ruhen Bouviers Dossiers auf LaPointes Schreibtisch, obendrauf auf all dem unbearbeiteten Papierwust. Er verschränkt die Finger hinter dem Kopf und lehnt sich in dem Drehstuhl zurück, um den überdimensionalen Stadtplan von Montreal
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