Ein Highlander zu Weihnachten
lange, ehe anständige Leute auch nur daran dachten, die Augen aufzumachen. Und dann verschwand er nach dem Abendbrot, behauptete, er müsse ein bisschen frische Luft schnappen und kam erst gegen zwei Uhr früh nach Hause. Was trieb er eigentlich Nacht für Nacht bis in den frühen Morgen? Sie brauchte Regelmäßigkeit. Sie brauchte ihre acht Stunden Schlaf. Sie brauchte ihre Auszeit, wenn sie den ganzen Tag mit Kunden und Rechnungen zu tun gehabt hatte. Aber Cam nicht. Er las, er aß, er werkelte und lief dann in der Stadt herum. Völlig klar, dass sie weder ausspannen konnte noch genug Schlaf bekam. Sie machte sich Sorgen darüber, welche Scherereien er wohl als Nächstes bekommen würde.
Als er damals im Bus in kummervollem, versteinertem Schweigen in die Welt geblickt hatte, hatte sie ihm gesagt, dass er bei ihr bleiben könne, solange es nötig war. So lange, bis sie ihn nach Hause bringen konnte. Warum nur hatte sie das getan?
Sie ächzte. Weil sie sich halb in ihn verliebt hatte, in diesen lauten, schlampigen und dennoch unglaublich anziehenden – auf seine Weise durchaus bezaubernden – Cam MacLeod. Darum.
Ein weiterer Anfall von Schüttelfrost ergriff sie so, dass ihre bereits schmerzenden Muskeln sich verkrampften und ihre Zähne aufeinanderschlugen. Das Fieber war wiedergekommen. Sie sah sich um. Wieso war sie im Badezimmer? Ach ja, sie brauchte Aspirin.
Sie öffnete das Medizinschränkchen und gab zwei Tabletten in ihre gewölbte Hand, dann noch eine. Nimm gleich drei, es sind die Kleinen.
Sie zitterte erneut, knipste das Licht aus und blieb an der Schlafzimmertür stehen. Sie warf einen Blick auf ihr großes, gemütliches Bett. Vielleicht sollte sie sich einen Moment hinlegen, nur ganz kurz, damit die Tabletten ihre Wirkung entfalten konnten. Dann konnte sie sich wieder an die Arbeit machen. Wieder schüttelte sie das Fieber. Nur ganz kurz ausruhen.
Mit klappernden Zähnen schlug sie die Tagesdecke zurück und stieg ins Bett. Sie rollte sich zusammen und blickte aus dem Fenster in die eisig kalte Nacht hinaus. Aber der Lichtschein der Straßenlampen blendete ihre Augen empfindlich, und sie machte sie zu.
Cam, wo zum Teufel steckst du?
Cam fluchte leise vor sich hin, als ein Betrunkener Claires halb nackter Freundin Tracy Simpson zubrüllte: »Hierher, Baby!«
Wann würde er nur mit seinem Entsetzen über diesen Ort fertig werden, an dem Tracy – und jetzt auch er – arbeiteten? Noch schlimmer war für ihn die Entdeckung, dass die Hälfte dieser Mädchen verheiratet war. Was waren das nur für Männer, die so etwas zuließen?
Tracy hatte nur wenig mehr an als silberne Stilettos. Sie kniete sich hin und ließ in der Hoffnung auf noch mehr Trinkgeld die Hüften kreisen. So nannte sie zumindest die Geldscheine, die Fremde ihr zwischen die Brüste und in ihr kaum sichtbares Was-auch-immer steckten.
Ihm wurde klar, dass der Betrunkene jetzt mit leeren Händen dastand und drauf und dran war, nach Tracys nacktem Hinterteil zu grabschen. Cam schritt ein, packte den Mann im Genick und zog ihn fort. »Ich habe Sie gewarnt, Sir. Niemand rührt die Mädchen an.«
Der Betrunkene taumelte seitwärts und schüttelte eine kraftlose Faust. »Nimm deine verdammten Pfoten weg!«
Cam griff fester zu und schob den gut gekleideten Mann, der die letzten drei Stunden einen Whisky nach dem anderen heruntergekippt hatte, in Richtung Tür. »Raus mit Ihnen.«
Auf halbem Weg durch das Lokal drohte der Betrunkene noch einmal mit der Faust und versuchte Cam abzuschütteln. »Lass mich los!«
Zur Antwort drehte Cam seine Hand leicht im Gelenk. Damit zog er dem Mann den Kragen so eng, dass ihm die Luft und alle Lust auf einen Kampf, die diese traurige Figur noch in sich verspüren mochte, wegblieben. Als Cam ihn zum Eingang des Purple Pussycat hinausschob, war der Betrunkene puterrot im Gesicht.
Auf der Schwelle ließ Cam ihn los und versetzte dem Mann einen Stoß, sodass er um sich schlagend über den Parkplatz stolperte. Im Schneematsch kämpfte er keuchend um sein Gleichgewicht. Cam suchte den Parkplatz mit Blicken nach möglichen Ärgernissen ab, entdeckte aber nur eine knisternde und flackernde Straßenlampe und Dampf, der ein paar Schritte weiter mit geisterhafter Leichtigkeit aus einem Gully aufstieg und von der Leuchtreklame des Purple Pussycat lavendelfarben angestrahlt wurde. Irgendwo rechts von ihm drehten Autoreifen auf dem nassen Asphalt durch. In der Ferne heulte eine Sirene. Er schüttelte den Kopf.
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