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Ein Hueter erwacht

Ein Hueter erwacht

Titel: Ein Hueter erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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ich dir nicht sagen.«
    »Du willst es mir nicht sagen, he?« Dinesh wandte sich Radhey zu, ein ebenso gieriges wie gefährliches Funkeln in den Augen, das der Jüngere nur allzu gut kannte - aus übler Erfahrung. »Weil dort, wo du das Ding gefunden hast, noch mehr von dieser Art liegt, was?«
    »Nein, so ist es nicht«, beteuerte Radhey.
    »Du wolltest die Sachen verkaufen, ohne mir etwas davon zu sagen, du kleiner Lump, he?« fuhr Dinesh unbeirrt fort.
    »Nein, gewiß nicht. Ich werde den Kelch nicht verkaufen, und es gibt sonst nichts dort, wo ich ihn gefunden habe. Nur -«
    »Nur?«
    »Den Tod.«
    Etwas im Tonfall seines Bruders irritierte Dinesh sichtlich. Fast schien es, als schliche sich für eine Sekunde tiefe Furcht in seine Züge. Doch schon in der nächsten war der Eindruck verschwunden.
    »Was redest du nur für albernes Zeug?« lachte Dinesh, wenn auch etwas unsicher.
    »Schau mich an«, verlangte Radhey. »Sagtest du nicht selbst, ich würde aussehen, als sei ich dem Tod gerade noch entkommen?«
    »Wer weiß, wem du das Ding gestohlen hast«, meinte Dinesh verächtlich. »Mag ja sein, daß er dich umgebracht hätte, wenn er dich erwischt hätte.« Er reckte Radhey den Kelch hin. »Ich werde ihn einem Händler anbieten. Mal sehen, was er zu zahlen bereit ist.«
    »Das wirst du nicht!« Radhey kannte seine eigene Stimme kaum wieder, weil plötzlich eine Kraft darin lag, die ihm fremd war - und ihn fast erschreckte.
    Wie auch Dinesh. Doch er hatte sich rasch wieder in der Gewalt und erwiderte den Ton seines Bruders in gleicher Weise.
    »Wer will mich daran hindern?« fragte er provozierend. »Du etwa? Dann komm her und versuch es!«
    Radheys Angriff erfolgte ansatzlos. Kein Zucken seiner Mimik und keine Geste verrieten, was er vorhatte. Aus dem Stand schnellte er sich Dinesh entgegen, flog wie vom Katapult geschleudert auf ihn zu und stieß ihn zurück. Hart prallte der Ältere gegen die Wand und sank aufkeuchend daran nieder, derweil Radhey ihm eine Faust ins Gesicht schlug und mit der anderen Hand nach dem Kelch langte.
    Dinesh reagierte reflexhaft. Er streckte den Arm, so daß sein Bruder den Kelch nicht erreichen konnte, ohne von ihm ablassen zu müssen. Als Radhey es schließlich tat und sich regelrecht auf Dines-hs Hand, die den Kelch hielt, werfen wollte, zog er sie rasch fort und riß die Faust in die Höhe - um sie dann sofort wieder nach unten rasen zu lassen!
    Ein dumpfer Laut.
    Dunkel und warm spritzte Blut auf.
    Radhey wollte noch nach der Verletzung an seinem Hinterkopf greifen, doch die Bewegung seiner Hand erstarb auf halbem Wege. Stöhnend sackte der junge Mann zusammen und blieb reglos liegen.
    Einen endlosen Moment lang hockte Dinesh Pai schreckensstarr da und stierte hinab auf seinen Bruder. Blut rann Radhey in den Nacken. War er -?
    Dinesh berührte ihn mit zitternder Hand, wollte seinen Puls oder Atem spüren, als Radhey leise ächzte.
    Der Ältere seufzte erleichtert, doch der Laut war kaum verklungen, als auch schon ein gemeines Lächeln auf seine Lippen trat. Glitzerndes Blickes schaute er auf den Kelch in seiner Hand hinab. Das Ding sah merkwürdig aus, aber immerhin ungewöhnlich genug, daß es sich in seinem Wert niederschlagen mochte. Und Dinesh kannte jemanden, dessen Interesse an solchen Dingen sich für ihn schon so manches Mal ausgezahlt hatte.
    Still und heimlich wie ein Dieb verließ er das Haus und tauchte unter im Schutz der Nacht.
    Er sah nicht, daß sich von anderer Seite her dunkle Gestalten näherten.
    Zwölf an der Zahl.
    *
    Im Dunklen Dom
    Tief im Fels begann etwas sich zu regen. Was Tausende von Jahren wie tot auf den versteinerten Planken der Dunklen Arche geruht hatte - erwachte!
    Sein Leib schien ihm so schwer und ungelenk, als wäre er, wie einst das Holz der Arche, eins geworden mit dem Fels des Berges.
    Spürbar kälter denn zu seiner Hüterzeit kroch ihm das schwarze Blut durch die Adern, so zäh, daß es schmerzte. Kraft sickerte so langsam in seine Glieder, daß es Ewigkeiten dauern mußte, bis ihr Maß auch nur für die geringste Bewegung genügen mochte.
    Derweil er noch starr und unbeweglich dalag, stiegen erste Fragen auf aus dem Dunkel, in dem sein Geist Äonen schlafend zugebracht hatte.
    Wer bin ich?
    Die Antwort schien der Frage schon anzuhängen. In der Sekunde, da er sie sich im Stillen stellte, wußte er es auch schon: Er war der erste Hüter des Lilienkelchs gewesen.
    Doch diese Zeit war vorüber. Nur das Wissen, das ihm mitgegeben worden

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