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Ein Hueter erwacht

Ein Hueter erwacht

Titel: Ein Hueter erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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die Tatsache, daß es ihnen möglich war, ließ Radhey glauben, sie hätten ihn schon so gut wie erwischt.
    Seine Füße schienen die Stufen kaum zu berühren, so schnell raste er die Treppe empor. Trotzdem war das obere Ende noch weit entfernt, als er hinter sich bereits die Schritte seiner untoten Häscher vernahm.
    Schneller! trieb er sich selbst an. »Schneller!« Trotz der erst kurzen Flucht kam Radhey das Wort keuchend von den Lippen. Sein Atem rasselte. Sein Herz raste. Das Grauen der Situation machte ihm viel mehr zu schaffen als die bloße Anstrengung des Laufens.
    Düsternis lag über dem Ende der Treppe. Jenseits der letzten Stufe erwartete Radhey Pai völlige Dunkelheit. Er stürzte sich in die Schwärze, rannte noch vier oder fünf Schritte vom eigenen Schwung getrieben, ehe er stehenblieb. Wohin sollte er sich wenden? Es gab nichts in der Finsternis, das ihm Orientierungshilfe gewesen wäre.
    Dann kamen sie. Radhey hörte ihre Schritte, und er meinte wogende Schatten im Dunkeln zu sehen. Das Geräusch ihrer Schritte wurde lauter, näherte sich. Verwesungsgestank hüllte ihn ein, raubte ihm den Atem.
    »Nein!« brüllte er. Wild und ziellos drosch er mit den Armen um sich. Etwas Weiches streifte ihn, im nächsten Moment zogen hornige Klauen eine blutige Spur über seinen Arm.
    Radheys Gedanken wirbelten. Was sollte er nur tun?
    Zur Wand! durchfuhr es ihn. Du mußt zur Wand. Dich daran entlang tasten. Dann findest du die Tür - vielleicht...
    Von neuem stürmte Radhey los. Blindlings rannte er geradeaus durch die Finsternis. Hart prallte er gegen Widerstand, der unter der Wucht aufstöhnend zur Seite wich. Im nächsten Moment war es Radhey selbst, der stöhnte. Mauerwerk stoppte seinen blinden Lauf. Er versuchte noch, sich mit den Armen abzustützen, doch er war so schnell gerannt, daß seine Gelenke die Kraft nicht abfedern konnten. Mit dem Gesicht schlug Radhey gegen die Wand. Warm rann es ihm von der schmerzenden Stirn übers Gesicht.
    Er drehte sich um, preßte den Rücken gegen die Mauer. Den linken Arm streckte er zur Seite; mit der rechten Hand hielt er den Kelch fest an sich gedrückt. Dann bewegte er sich nach links, wobei die Finger seiner Hand wie Spinnenbeine über das rissige Mauerwerk krabbelten. Irgendwann mußten sie die Türöffnung erreichen - bald hoffentlich .
    Die Schritte aus dem Dunkel wurden wieder lauter, kamen schleifend auf Radhey zu, als wäre er ein Magnet, der sie anzog.
    Am schlimmsten war es, nichts sehen zu können. Radhey Pai hätte dem Grauen lieber buchstäblich ins Gesicht gesehen, als ihm blind und hilflos ausgesetzt zu sein. So aber mußte er sekündlich mit einer Berührung aus dem Nichts rechnen, damit, daß eine totenkalte Klaue nach ihm griff, ihn packte und - Radheys Linke tastete ins Leere.
    Die Tür!
    Die Rettung?
    Der junge Mann warf sich nach links. Gerade noch rechtzeitig. Hinter ihm schlug ein Körper schwer und dumpf gegen die Wand, während er selbst schon das Holz der Tür spürte. Mit fliegenden Fingern tastete er nach dem Griff, fand ihn endlos lange nicht. Gab es keinen? So schien es.
    Radhey krallte die Finger um die Kanten der Tür, zerrte daran. Nägel brachen ihm ab, Holzsplitter bohrten sich ihm wie glühende Dornen ins Fleisch. Dann endlich - Die Tür öffnete sich so überraschend, daß Radhey fast nach hinten gefallen wäre. Irgendwie schaffte er es noch, sich mit der Hand am Rahmen festzuhalten. Und in der gleichen Bewegung zog er sich nach draußen und rannte auch schon los.
    Durch den Garten, durchs Tor hinaus auf die Grand Trunk Road. Und immer weiter. Ohne sich auch nur ein einziges Mal umzusehen. Als könnte er alles hinter sich lassen wie einen bösen Traum.
    Aber Radhey Pais Alptraum hatte gerade erst begonnen ...
    *
    Stille kehrte wieder ein in das Haus an der Grand Trunk Road - Totenstille, wie sie seit jeher geherrscht hatte im Hause des Erweckers.
    Der Erwecker selbst, der Nekromagier Sahya Patnaik, war lange tot. Aber nicht zuletzt sein Tod hatte Dinge in Bewegung gesetzt, die bis heute wirkten. Der Tod selbst hatte sich eingenistet an diesem Ort, als wäre er das Erbe jenes Mannes, der den Tod zu eigener Leb -zeit dutzendfach betrogen und ihm ein ums andere Mal Opfer entrissen hatte, um sie mit selbstgemachtem Leben zu erfüllen, auf daß sie ihm Gesellschaft waren in diesem Haus.
    Heute also war einzig noch der Tod hier zu Hause - in zwölffacher Gestalt.
    Diese Zwölf nannten sich selbst »die letzten Hüter des Kelches«,

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